IMZ-Newsletter #44
Juni 2020
Diesmal mit folgenden Themen:
- Kommentar „Ein Boot mit unterschiedlichen Plätzen“
- Patin oder Pate werden! Ertebat bietet Schulungen online
- Buchempfehlung aus der Fachbibliothek BIM: Das Manuskript
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Kontakt halten mit Abstand - Deutsch online lernen
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Aus der (Beratungs)Praxis: Berufsausbildung im Ausland abgeschlossen, in Österreich anerkannt
- Arbeitslosigkeit und Migration: Corona
- Umbrella March 2.0. - Weltflüchtlingstag am 21. Juni
- Stellenausschreibung der Diakonie Flüchtlingsdienst Tirol
- Linktipp in eigener Sache
Kommentar „Ein Boot mit unterschiedlichen Plätzen“
Dieser Kommentar wurde in leicht abgewandelter Form auf dem Blog der Dorfzeitung Inzing veröffentlicht.
Mag. Johann Gstir ist Bereichsleiter der Fachstelle Integration(Abt. Gesellschaft und Arbeit) des Landes Tirol und Leiter des IMZ Informations- und Monitoring Zentrum für Migration und Integration in Tirol.
Das Coronavirus wirbelt aktuell unser Leben ziemlich durcheinander. Vieles, was im Umgang miteinander bisher selbstverständlich war, ist nun schwierig oder unmöglich – und das wahrscheinlich noch für längere Zeit. Dies wirkt sich auch auf die Integration von und mit Zugewanderten aus.
Wie immer in Krisensituationen gibt es unterschiedliche, oft scheinbar widersprüchliche Verhaltensweisen und Entwicklungen. Mir fällt zum Beispiel auf, …
… dass erfreulicherweise Menschen unter dem Eindruck dieser gemeinsamen Gefahr „zusammenrücken“ und in vielen Bereichen mehr füreinander da sind, als wir das zuletzt gewohnt waren: Vorgaben der Regierung, die unsere Freiheit teilweise massiv einschränken, werden weitgehend eingehalten, weil man anerkennt, dass die sogenannten Risikogruppen geschützt werden müssen. In vielen Bereichen ist eine große Hilfsbereitschaft erlebbar – unabhängig von Herkunft, ethnischer oder religiöser Zugehörigkeit.
… dass sich gleichzeitig auch vermehrt negatives Verhalten zeigt: Anzeigen wegen (oft nur scheinbarer) Verletzungen der Ausgangsbeschränkungen, Verschwörungstheorien über die Herkunft des Virus, Vorurteile gegenüber Menschen aus Asien etc.
… welch große Bedeutung Grenzen in der gegenwärtigen Krise wieder (oder immer noch) haben – etwas, von dem wir geglaubt hatten, es sei in Europa schon weitgehend überwunden. Ja, plötzlich zeigt sich sogar, dass es auch innerstaatliche unsichtbare Grenzen gibt, wenn z.B. erholungssuchende WienerInnen in den umgebenden ländlichen Regionen unerwünscht sind.
… dass unter den sogenannten „HeldInnen des Alltags“ auch sehr viele sind, die eine familiäre Migrationsgeschichte haben. Zum Beispiel im Gesundheitsbereich, im Lebensmittelhandel, in der Logistik, … Vielleicht ändert das bei einigen „Alteingesessenen“ (und auch bei MigrantInnen selbst) die Wahrnehmung des Zusammenlebens.
… dass bei uns lebende Geflüchtete in Corona-Zeiten ein noch isolierteres Leben führen als es vielfach vorher schon der Fall war. (Ich übersehe dabei nicht die zahlreichen ehrenamtlichen Bemühungen, Kontakte zu ermöglichen und zu vertiefen.)
… dass in der Krise gern das Bild von dem Boot bemüht wird, in dem wir alle sitzen. Es ist schon richtig, dass wir diese Herausforderung nur gemeinsam meistern können, wie es von diesem Bild vermittelt wird. Allerdings darf man nicht vergessen, dass es auf diesem Boot unterschiedliche Plätze gibt – von der Außenkabine bis hin zum Unterdeck. Es macht einen Unterschied, ob man in einer kleinen Stadtwohnung ohne Balkon lebt oder in einem Haus im Grünen mit Garten. Die Möglichkeit, online Kontakte zu pflegen, haben nicht alle Menschen. Kinder, die schon bisher schlechtere Bildungsvoraussetzungen und -chancen hatten, finden sich jetzt noch mehr im Abseits. Viele erleben Home-Office und Home-Schooling als mühsam, für viele andere besteht aber die Herausforderung im Verlust von Arbeitsplatz oder Betrieb. Viele Benachteiligungen treffen Menschen mit Migrationsgeschichte überproportional, unabhängig davon, ob sie „Heldinnen des Alltags“ sind.
Im Moment stehen zwei große Aufgaben zur Bewältigung der Krise im Fokus der Öffentlichkeit und der EntscheidungsträgerInnen: der Schutz der Gesundheit und die Stärkung der Wirtschaft.
Aus meiner Sicht liegt eine dritte große Herausforderung in der zukünftigen Gestaltung des Zusammenlebens in der Gesellschaft. Es zeigt sich nämlich in der Krise noch mehr als sonst, dass die Widerstandsfähigkeit einer Gesellschaft davon abhängt, wie sehr sich die Menschen mit ihr verbunden fühlen und wie stark ihnen das allgemeine Wohl (und nicht nur das eigene) am Herzen liegt. Und das betrifft alle Menschen, die hier leben, egal woher sie kommen und wie lange sie schon hier sind. Vieles gelingt uns in der aktuellen Situation sehr gut, manches ist noch ausbaufähig. Die Trennlinien durch die Gesellschaft sind auch und gerade in der Krise oft deutlich zu sehen und fordern uns heraus. Das neue Tiroler Integrationsleitbild „Gemeinwohl und Zugehörigkeit stärken“ gewinnt dadurch eine noch größere Bedeutung. Gleichzeitig bietet es bereits gute Ansätze, die Herausforderung eines guten Miteinanders in diesen besonderen Zeiten anzunehmen und Fortschritte zu erzielen. Manche neuen Einsichten in der Krise unterstützen uns dabei, aber es braucht weiterhin den aktiven Einsatz dafür.
Bilder:
1. Demonstration „Grenzen töten“, Innsbruck 25.5.2020, Bildrechte: Christian Niederwolfsgruber (niewo)
2. Integrationsbild „Gemeinwohl und Zugehörigkeit stärken“, Land Tirol
Patin oder Pate werden! Ertebat bietet Schulungen online
Das Patenschaftsprojekt Ertebat – Patenschaften für unbegleitete minderjährige Geflüchtete – ist ein Projekt der Plattform Asyl – FÜR MENSCHEN RECHTE.
Ertebat unterstützt in Tirol untergebrachte unbegleitete minderjährige Flüchtlinge im Alter zwischen 14 und 21 Jahren mit dem Aufbau einer Patenschaft zur Ergänzung ihres Freizeitprogrammes. Der Begriff „ertebat“ ist Dari und bedeutet Verbindung. Kern des Projektes ist die Bildung von Freundschaften und Netzwerken zwischen Patinnen oder Paten und unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen durch gemeinsame Unternehmungen. Jugendlichen Flüchtlingen soll die Chance geboten werden, Menschen kennenzulernen, die in Tirol ansässig und gut vernetzt sind und die sich für die Anliegen von Flüchtlingen interessieren. Patinnen und Paten erhalten umgekehrt einen Einblick in das Thema Asyl und die reale Situation von jungen Flüchtlingen.
Das Patenschaftsprojekt soll zu einer positiven Wahrnehmung der Unterbringungseinrichtungen in den Gemeinden beitragen und den Abbau von Vorurteilen fördern. Um einen Beziehungsaufbau auf Augenhöhe zu ermöglichen, werden geeignete Patinnen und Paten für das Projekt ausgewählt, geschult und bei der Bildung ihrer Verbindung mit den Jugendlichen begleitet.
Eine Ertebat-Patin/ein Ertebat-Pate ist eine Person, die mit einem unbegleiteten minderjährigen Flüchtling in regelmäßigen Abständen Zeit verbringt. Ein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling ist, wer ohne seine oder ihre Eltern aus dem Heimatland flüchten muss. Meist leben unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in organisierten Unterkünften.
Patinnen und Paten nehmen eine zentrale Funktion in der Patenschaft wahr, da sie auf die Jugendlichen zugehen und in der Beziehung zu ihnen die aktive Rolle innehaben. Als Patinnen oder Paten kommen Privatpersonen ab einem Mindestalter von 24 Jahren in Frage oder, bei Unterschreiten dieses Alters und Vorliegen einer besonderen Eignung, auch jüngere Menschen.
Patinnen und Paten sollten die Bereitschaft mitbringen, in regelmäßigen Abständen (ca. einmal pro Woche zwei bis drei Stunden) und über einen längeren Zeitraum (mindestens ein Jahr) mit den Jugendlichen gemeinsame Freizeitaktivitäten zu unternehmen. Patenschaften können sehr divers sein – mit jungen bis hin zu älteren Patinnen/Paten, mit Einzelpersonen über Paare bis hin zu Familien, von Aktivitäten im Freien über Kreatives bis hin zu Kulturellem, von engen Beziehungen bis hin zu einzelnen Treffen. Die Häufigkeit sowie Form der Patenschaft wird individuell gestaltet und hängt stark von den Bedürfnissen der Jugendlichen ab.
Vorbereitend und begleitend für Patinnen und Paten sind im Ablauf des Projekts verschiedene Schritte vorausgesehen:
Projektablauf: Informationsabende, Einzelgespräche, Einführungsworkshop für Pat*innen (vier Abende), Vermittlung und kreative Vorstellung, Rahmenvereinbarung für Pat*innen, erstes Treffen zwischen den Jugendlichen und Pat*innen, Austauschtreffen für Pat*innen (4x im Jahr).
Foto: Plattform Asyl, Projekt Ertebat
Bei Interesse oder für mehr Informationen schreiben Sie Projektkoordinatorin Jutta Binder an: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Buchempfehlung aus der Fachbibliothek BIM: Das Manuskript
Rezension von MMag.a Dr.in Bediha Yildiz, Beraterin am Zentrum für MigrantInnen in Tirol.
In seinem Debütroman erzählt der Autor Stanislav Struhar aus der Ich-Perspektive Bens Leben, der mit seinen Eltern aus Abidjan, Hauptstadt der Elfenbeinküste, nach Wien kommt. Sehr früh wird er auf tragische Weise mit Rassismus konfrontiert, als sein Vater vor seinen Augen tödlich angegriffen wird und schließlich seinen Verletzungen erliegt. Ben spürt Rassismus nicht nur im Alltag und im Literaturbetrieb, sondern auch in den Handlungen der Staatsgewalt deutlich, wenn er willkürlich aufgehalten und ohne geringsten Anhaltspunkt durchsucht wird. Das alles haltet aber Ben nicht zurück, sich in Wien zu Hause zu fühlen, wenngleich er sich auch nach Abidjan gezogen fühlt und gerne auf seine dort verbrachten Tage zurückblickt.
Der Roman ist keinesfalls auf Rassismus und Diskriminierung beschränkt. Während die tagebuchartigen Einträge des Protagonisten wie ein nüchterner Bericht Langeweile hervorschwört, gelingt es dem Autor die Leserin/den Leser in die Welt des Protagonisten einzuführen, indem er die Gefühlswelt eindrücklich erzählt, sodass die Leserin/der Leser Bens Trauma, Heimweh, Sehnsucht hautnah spürt. Diese Abwechslung lässt die Geschichte authentisch wirken. Im Zentrum der Handlung steht das Schaffen als Schriftsteller und die Bemühungen um Veröffentlichung seines Werks auf Deutsch, welches er auf Französisch schreibt. Der Autor versucht Diskriminierungen aller Art in der Gesellschaft anzusprechen. Selbst den Klassenkampf unter den begüterten und nicht begüterten Schwarzen spart er nicht aus.
Seiner Freundin Ulrike, eine Wienerin, gegenüber lässt er seine Probleme nie durchsickern und versucht sie alleine zu lösen.
Zu einer interessanten Wende in der Geschichte kommt es, als Ben an den Folgen seines letzten rassistischen Angriffs stirbt und seine Freundin Abidjan als neue Heimat wählt. Dort möchte sie ihrem Sohn, den sie nach Ben genannt hat, eine sichere Heimat geben. Im Gegensatz zu seiner Desintegration in Wien wird sie dort herzlich empfangen und beispielhaft in ihrer Integration unterstützt. Durch diese Gegenüberstellung macht der Autor noch einmal sichtbar, wie die Integration in Österreich erschwert - auch strukturell vermieden - wird.
Trauernd schreibt sie dort das Manuskript ihres Freundes zu Ende und verarbeitet dabei ihre Schulgefühle, dass sie Bens Schwierigkeiten in Österreich nicht verstanden hat. Erst durch die feindseligen Briefe, die Ben damals von diversen Verlagen bekommen hat, realisiert sie, womit Ben kämpfen musste. Dass auch in der Literaturszene eine rassistische Haltung zu erkennen ist, kann sie gar nicht begreifen. Schlussendlich organisiert sie alles, damit seine Werke veröffentlicht werden.
Der Roman enthält autobiographische Züge, was das Schreiben und Veröffentlichen eines literarischen Werkes anbelangt und auch die Diskriminierungserfahrungen des Autors, der selbst 1988 mit seiner Frau von der Tschechoslowakei nach Österreich geflohen ist.
Vom Autor sind noch weitere Werke in der deutschen Sprache erschienen: Der alte Garten, Eine Suche nach Glück, Fremde Frauen, Das Gewicht des Lichts, Die vertrauten Sterne der Heimat, Die Verlassenen und Fremde Männer.
Stanislav Struhar: Das Manuskript, Drava Verlag, 174 S.
Die Bibliothek für Integration und Migration – BIM beinhaltet Bücher, Zeitschriften, Broschüren und andere Publikationen zu den Themen Integration und Migration, (Anti-)Rassismus, Diskriminierung und weiteren Schwerpunkten. Sie können in der online-Bibliothek mit Schlagwörtern nach Literatur suchen.
Anmeldung und Ausleihe
Um die Bibliothek benützen zu können, müssen Sie als LeserIn angemeldet sein. Die Ausleihe ist kostenlos. Die Ausleihdauer beträgt 12 Wochen.
Mehr Informationen erhalten Sie hier oder per E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Kontakt halten mit Abstand - Deutsch online lernen
Über die digitale Lern- und Beratungsangebote bei Frauen aus allen Ländern in Zeiten von Corona. Ein Bericht von Mag.a Katarina Ortner, Mitarbeiterin von FALL, Schwerpunkt Bildung.
Fast über Nacht hat die Einrichtung Frauen aus allen Ländern den Großteil ihrer Bildungs- und Beratungsangebote umgestellt und in den letzten acht Wochen Corona-bedingt digital angeboten.
Das war möglich, weil es in der Einrichtung bereits viel Expertise mit digitalem Lernen gab und weil die Mitarbeiterinnen mit größtem Engagement, Kreativität und Experimentierfreude an der Umsetzung gearbeitet haben. Das wichtigste Ziel war dabei, mit den Kursteilnehmerinnen aus den Basisbildungs- und Deutschkursen sowie mit den Klientinnen aus der Beratung in Kontakt zu bleiben. Es sollte rasch vermittelt werden, dass Frauen aus allen Ländern in dieser Krise eine Anlaufstelle bleibt – nur eben verlagert in den virtuellen Raum.
Im Bildungsbereich gestaltete sich das Lernen so, dass über eine eigens erstellte Lernplattform auf der Homepage, über soziale Medien, über Instant-Messaging-Dienste und per Post Lernmaterialien an die Lernenden weitergleitet wurden. Obwohl das Lernumfeld für viele Frauen zu Hause oft alles andere als optimal war, waren ihre Rückmeldungen sehr positiv.
Im Beratungsbereich wurde aktiv mit Klientinnen Kontakt über Telefon aufgenommen. Es zeigte sich, dass teilweise der Zugang zu seriösen Informationen zur Corona-Pandemie fehlte. Deshalb wurden dazu laufend aktuelle Informationen in leichter Sprache und nach Möglichkeit mehrsprachig weitergeleitet, ebenso Informationen zu Gewaltschutz, zu finanziellen Unterstützungsmöglichkeiten und zu anderen Themen.
Sogar im Kinderbetreuungsbereich wandten sich die Pädagoginnen mit kleinen Videos an die Kinder, gaben Bastel- und Spieletipps weiter und zeigten so den Kindern und den Müttern, dass an sie gedacht wurde.
Trotz dieser positiven Erfahrungen bleibt als Fazit: Der direkte Kontakt in der Beratung, das Lernen voneinander in der Gruppe, das Nach- und Rückfragen und nicht zuletzt das Lachen miteinander kann durch kein digitales Tool ersetzt werden.
Bilder
1. Lernen von zu Hause aus setzt viel voraus (Pixabay)
2. Lernplattform von FAAL
Aus der (Beratungs)Praxis: Berufsausbildung im Ausland abgeschlossen, in Österreich anerkannt
Mag.a Sandra Ivanović, Beraterin der Anlaufstelle für Personen mit im Ausland erworbenen Qualifikationen Tirol und Vorarlberg (AST) berichtet über einen Fallbeispiel aus ihrer Praxis.
Frau M. kam in unsere Anlaufstelle mit dem Anliegen, ihre abgeschlossene Ausbildung als Zahnärztliche Assistentin in Bozen/Südtirol in Österreich anzuerkennen. Da sie bereits im Jahr 2017 versucht hatte, im Alleingang die Anerkennung beim Ministerium zu beantragen, jedoch ihr aufgrund der Lerninhaltsunterschiede Ergänzungsprüfungen vorgeschrieben wurden, hat sie diese nicht mehr nachverfolgt und hat auch die Möglichkeit der Beschwerdefrist nicht wahrgenommen. Nach Einholung aller alten und neuen Informationen und Rücksprache mit dem zuständigen Ministerium wurde der Fall wieder aufgenommen. Es wurde Frau M. beim Verfassen der Stellungnahme und beim Zusammentragen der erforderlichen Unterlagen für die neuerliche Antragstellung geholfen. Nach einigen Wochen meldete sie sich mit einer sehr erfreulichen Mail: ihre Ausbildung aus Südtirol wurde anerkannt!
Alle Informationen zur AST finden Sie unter diesem Link. Beratungzeiten und -orte sind hier abrufbar.
Alle Dienstleistungen der AST sind kostenlos!
Arbeitslosigkeit und Migration: Corona
Ob Arbeit, Aufenthalt, Wohnsituation oder Kinderbetreuung: Besonders MigrantInnen sind in der derzeitigen Corona-Situation großen Belastungen und Verunsicherungen ausgesetzt. Beratung und Unterstützung in der Kommunikation mit den Behörden eilen.
Knapp 20 % der Tiroler Wohnbevölkerung sind ausländischer Herkunft. Vor der „Corona-Krise“ hatte bereits jede fünfte Arbeitskraft in Tirol eine ausländische Staatsbürgerschaft; allein im Tourismus waren 56 % der ArbeitnehmerInnen ausländische StaatsbürgerInnen. Migrantinnen und Migranten arbeiten in Branchen wie dem Tourismus, dem Baugewerbe, der Produktion oder der Landwirtschaft. Für jeden und jede ist die derzeitige Situation rund um die Bedrohung „Covid-19“ eine besondere Herausforderung: Das berufliche und private Leben ist in einem nie erwarteten Ausmaß beschränkt, verändert oder belastet.
Hohe Arbeitslosenzahl bei MigrantInnen
Laut aktuellen Daten des AMS Arbeitsmarktservice Tirol sind von den insgesamt 44.928 arbeitslosen Personen 16.967 Personen MigrantInnen. Das sind um 10.407 Personen oder +158,6 % mehr als im Vergleichsmonat des Vorjahrs (Daten April). Anton Kern, Landesgeschäftsführer des AMS Tirol zu den aktuellen Zahlen: „Zum Stichtag 30. April zeigt sich, dass aufgrund der Corona-Pandemie in Tirol weiterhin eine sehr hohe Arbeitslosigkeit vorliegt (44.928 arbeitslos vorgemerkte Personen). Der größte Teil der von Arbeitslosigkeit betroffenen Arbeitskräfte kommt nach wie vor aus dem Dienstleistungsbereich, allen voran aus dem Wirtschaftsabschnitt Beherbergung und Gastronomie mit 20.859 Personen oder +127,3 % sowie dem Handel mit 4.946 Personen oder +105,0 %. Generell herrscht aufgrund der Corona-Krise und den dadurch verursachten Geschäftsschließungen und Ausgangsbeschränkungen nach wie vor hohe Unsicherheit in Bezug auf die wirtschaftlichen Möglichkeiten vor“.
Das Zentrum für MigrantInnen in Tirol - ZeMiT berät jährlich rund 4000 Klientinnen und Klienten in Fragen rund um Aufenthaltstitel, Integration in den Arbeitsmarkt (im Auftrag vom AMS Tirol) und Anerkennung von Qualifikationen. Migrantinnen und Migranten im Allgemeinen und im Besonderen unsere KlientInnen sind in der derzeitigen Situation zusätzlichen Belastungen und Verunsicherungen ausgesetzt und mit rechtlichen, existenziellen, beruflichen, privaten und kommunikativen Problemen konfrontiert. Sie sind derzeit besonders von Kündigungen und Kurzarbeit betroffen, wie das Beispiel Tourismus belegt, da allein im Tourismus 56 % der ArbeitnehmerInnen ausländische StaatsbürgerInnen sind.
Besonders schwierig ist die Lage der Saisonbeschäftigten, da diese wegen der geschlossenen Gastronomiebetriebe kein Einkommen mehr haben und auch keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld oder eine sonstige finanzielle Unterstützung geltend machen können.
Ein Fallbeispiel
Um ein Beispiel unserer KlientInnen anzuführen: Ein aus Bosnien stammendes Ehepaar arbeitet seit 19 Jahren als Saisonnier in der Gastronomie und hat nun Schwierigkeiten mit der Bezahlung der Wohnungskosten und des Lebensunterhalts. Ihr minderjähriges Kind verfügt über eine Aufenthaltsbewilligung und muss den schulischen Verpflichtungen nachgehen. Wegen der ablaufenden Nachversicherungszeit kommt es dazu, dass sie keine aufrechte Krankenversicherung mehr haben. Und eine Ausreise nach Bosnien ist wegen der Grenzschließungen derzeit nicht möglich.
Anträge und Anfragen können bei vielen Ämtern derzeit nur digital oder telefonisch eingebracht werden. Ein Großteil unserer KlientInnen verfügt weder über die technischen Voraussetzungen noch ausreichende digitale und sprachliche Kenntnisse, um die Behördenwege so zu erledigen. Ebenso ist es derzeit unmöglich, notwendige Dokumente für die Antragstellung aus den Herkunftsländern zu besorgen – die Corona-Krise hat in diesen Ländern ihren Höhepunkt noch längst nicht erreicht. Die Fristen für die Verlängerung von Aufenthaltstiteln sind derzeit für unsere KlientInnen nicht einzuhalten. Ebenso stehen Personen, die die Integrationsvereinbarung fristgerecht erfüllen müssen, vor einem großen Problem: Die vorbereitenden Deutschkurse finden derzeit nicht statt.
Die Eltern von Neugeborenen stehen vor dem Problem, die Aufenthaltstitel für ihre Nachkommen rechtzeitig zu beantragen. Sie müssen innerhalb von bestimmter Zeit bei den Konsulaten ihrer Herkunftsländer die Eintragung ihrer Kinder in das Personenregister veranlassen und die Ausstellung eines Personalausweises oder Reisepasses beantragen, damit sie anschließend in Österreich einen Aufenthaltstitel für ihre Sprösslinge beantragen können. Die Reiseeinschränkungen stellen sie vor große Herausforderungen, weil die Konsulate nicht unbedingt im selben Bundesland wie ihre Wohnsitze sind. Das Ganze hat ein finanzielles Nachspiel: Ohne Nachweis des gültigen Aufenthaltstitels können die Eltern weder Kinderbetreuungsgeld noch Familienbeihilfe für das Neugeborene beziehen. Das ist noch eine zusätzliche Belastung für Familien, die ohnehin mit Armut kämpfen.
Im Durchschnitt verfügen Migrantinnen und Migranten aus Drittstatten mit 20 Quadratmetern über deutlich weniger Wohnraum als EU-BürgerInnen und ÖsterreicherInnen mit rund 30 Quadratmetern pro Kopf. 90 Prozent der MigrantInnen und Migranten wohnen in Mietwohnungen und nicht im Eigentum, wie das bei rund 70 Prozent der Einheimischen der Fall ist. In der derzeitigen Situation führt das auf Grund von massiven Einbußen beim Einkommen zu schwerwiegenden existenziellen und familiären Problemen. Die schulische Betreuung der Kinder zu Hause ist für viele eine Überforderung, vor allem für jene, die selbst nicht die Schule in Österreich besucht haben und die in vielen Fällen auch nur über geringe digitale Kompetenzen und kaum technische Ausstattung verfügen. Zukunftsängste, Verunsicherung und Verzweiflung sind derzeit bei unseren KlientInnen weit verbreitet.
„Als Zentrum für MigrantInnen in Tirol fordern wir die zuständigen Behörden auf, die Gefährdung der Aufenthaltstitel durch den Bezug von Sozialleistungen aufzuheben und die Fristen für die Antragstellungen zu verlängern, bzw. durch die Corona-Krise bedingte Verzögerungen nicht zu sanktionieren“, bekräftigt Mirjana Stojaković, Geschäftsführerin des ZeMiT.
Der Unterstützungsbedarf ist derzeit sehr groß: Fragen zum Aufenthalt, zur Arbeit, zur Wohnsituation, zur Kinderbetreuung sind ebenso dringend wie die Hilfestellung bei der digitalen Kommunikation mit Behörden: Ein großer Teil unserer KlientInnen verfügt weder über die digitalen Kompetenzen noch die technischen Geräte, um diese Herausforderung allein zu bewerkstelligen.
Das ZeMiT konnte von Mitte März bis Mitte Mai 2020 nur telefonisch beraten. Die reguläre persönliche Beratung wurde am 18. Mai wiederaufgenommen (AST –Anerkennung von ausländischen Qualifikationen), am 19. Mai die sozialpolitische Beratung in Telfs.
Ab heute, dem 2. Juni, startet das ZeMiT wieder die arbeitsmarktpolitische Beratung in Innsbruck im Auftrag vom AMS.
Es werden alle notwendigen Schutz-und Hygienebestimmungen dafür eingehalten: Der Aufenthalt mehrerer Personen wird durch kontrollierten Einlass am Eingang und zwingende telefonische Terminvereinbarung ausgeschlossen. Alle eintretenden Personen sind verpflichtet, sich die Hände zu desinfizieren und einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, ebenso wurden bereits alle Beratungsplätze mit einer Plexiglasverkleidung ausgestattet, um vor einer möglichen Ansteckung zu schützen.
Umbrella March 2.0. - Weltflüchtlingstag am 21. Juni
Die Plattform Asyl – FÜR MENSCHEN RECHTE ruft zur digitalen Umbrella March am 21. Juni, dem Weltflüchtlingstag, auf. Da aufgrund der COVID-19-Bestimmungen die alljährliche Aktion organisatorisch nicht möglich ist, werden Personen und Organisationen aufgerufen, ein Foto mit dem Umbrella March Schirm oder irgendeinem Schirm der Plattform für Zwecke der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, um ein Zeichen der Solidarität für Schutzsuchende in Tirol zu setzen.
Stellenausschreibung der Diakonie Flüchtlingsdienst Tirol
Die Diakonie Flüchtlingsdienst Tirol sucht für das Projekt Integrations- und Bildungszentren Tirol für den Standort Imst zum Eintritt mit Anfang/Mitte August eine*n IntegrationsberaterIn im Ausmaß von 20 Wochenstunden.
Bewerbung bis 15. Juni 2020
Mehr Informationen
Linktipp in eigener Sache
Während der Corona-Quarantäne hat das Team des Informations- und Monitoring Zentrums für Integration und Migration in Tirol IMZ ihr Informationsportal aktualisiert. Neue Studien, Berichte, wissenschaftliche Publikationen nach Thema sowie aktuelle statistische Daten rund um Migration und Integration in Tirol sind auf der IMZ-Website unter der Überschrift DATEN abrufbar und frei zum Herunterladen.
Das IMZ ist ein gemeinsames Projekt von Land Tirol /Abteilung Gesellschaft und Arbeit - Integration und ZeMiT.