Sarah Knoll, Zwischen Aufnahme und Transit. Österreichische Asyl- und Flüchtlingspolitik im Kalten Krieg, Global- und Kolonialgeschichte, Band 18, Transcript Verlag 2024
„Wir haben uns durch die Flüchtlingssache in der ganzen Welt einen Namen gemacht.“ So fasste im April 1957 der damalige SPÖ-Innenminister Oskar Helmer im Ministerrat die positiven Auswirkungen der österreichischen Hilfsbereitschaft gegenüber ungarischen Flüchtlingen 1956 zusammen. „So wie das Rote Kreuz eng mit der Schweiz verbunden und im Grund ein helvetisches Phänomen sei, so müsse Österreich sich als Asylland bewähren.“ Mit diesen Worten beschreibt wiederum Bruno Kreisky (SPÖ) in seinen Memorien „Im Strom der Politik“ jene Rolle in der Welt die Österreich durch die Unterstützung ungarische Flüchtlinge 1956 beanspruchen sollte und konnte. Diese Zitate stehen stellvertretend für zentrale Narrative, die eng mit der Geschichte der Zweiten Republik verbunden sind: Österreichs Bekenntnis zu einer „humanitären Tradition“ und der Darstellung als Asylland für politisch Verfolgte. Gerade die Unterstützung von Flüchtlingen aus dem sogenannten „Ostblock“, für die Österreich auf Grund seiner geografischen Lage an der Grenze zum „Eisernen Vorhang“ im Verlauf des Kalten Kriegs oft die erste Station im „Westen“ war, bildete ein Fundament für die Erzählungen. Die Unterstützung, die diesen Flüchtlingen zu teil wurde, dient bis heute als zentrale Referenz, wenn es darum geht Österreichs Leistungen für Geflüchtete in ein positives Licht zu rücken und Österreichs humanitäre Grundhaltung herauszustreichen. Bedient werden diese Darstellungen, damals wie heute, nicht nur parteiübergreifend von den jeweiligen Bundesregierungen, sondern auch von einer engagierten Zivilgesellschaft und den Medien. Doch stellt sich die Frage, halten diese Narrative einer genauen wissenschaftlichen Analyse stand? Diese Frage bildet den Ausgangpunkt des Buches.
Die oftmals umfangreiche Betonung der Hilfe für politisch Verfolgte durch Österreich zur Zeit des Kalten Kriegs führt nämlich zu einer teilweisen Mystifizierung und Fehlinterpretation der spezifisch österreichischen Leistungen. Dabei gerät die internationale Unterstützung, die Österreich bei der Versorgung, Integration und Weiterreise der Flüchtlinge zu Teil wurde, in der Öffentlichkeit und in Regierungskreisen oftmals in Vergessenheit. Ziel des Buches ist es darum, Flucht nach Österreich aus einer internationalen Perspektive zu analysieren und in den Blick zu nehmen, welche Rolle, Stellenwert und Auswirkungen die Arbeit von Hilfsorganisationen bei der Bewältigung von Fluchtbewegungen und auf die österreichische Asyl- und Flüchtlingspolitik hatten.
Wie ging Österreich mit Flüchtlingen aus kommunistischen Ländern während des Kalten Krieges um? Wie wirkten Staat und Hilfsorganisationen bei der Betreuungsarbeit zusammen? Und inwiefern beeinflusste das internationale Setting nationale Politik? Das Buch widmet sich diesen Fragen aus historischer Perspektive und nimmt dabei die politischen Reaktionen von Regierung und Öffentlichkeit in den Blick. Damit leistet es nicht nur einen zentralen Beitrag zu einem differenzierteren Verständnis von Österreichs Asyl- und Flüchtlingspolitik, sondern liefert außerdem Erkenntnisse über den europäischen und globalen Umgang mit Flucht und Migration während des Kalten Krieges.
Das Buch ist in unserer Bibliothek und im Buchhandel verfügbar und steht Open Access zur Verfügung Zwischen Aufnahme und Transit bei transcript Verlag
Zur Person: Sarah Knoll ist Historikerin. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören österreichische Zeitgeschichte, Flucht und Migration im Kalten Krieg, Humanitarismus und internationale Organisationen im 20. Jahrhundert.