#1 Junge Forschung mit#teilen: Vera Flatz: Frauen in der Arbeitsmigration sichtbar machen

#1 Forschung mit#teilen: Frauen in der Arbeitsmigration sichtbar machen

Vera Flatz, Lehrperson MS Rattenberg

Während das generelle Thema der Gastarbeit in den letzten zwei Jahrzehnten verstärkt in den Fokus der Wissenschaft gerückt ist, blieb der Genderaspekt unbeleuchtet. Sowohl in der öffentlichen Wahrnehmung, als auch in journalistischen und wissenschaftlichen Publikationen, dominiert bis heute das Bild des männlichen „Gastarbeiters“ der nach Österreich migriert ist. Deutlich machen dies Auszüge wie:

„Handeln wir zum Beispiel unser Thema in den 60er Jahren unter der Bezeichnung ‚GastarbeiterInnenproblematik‘ ab, so verzerren wir – durch den Hinweis auf Männer und Frauen – die Fakten. Die Gastarbeiterzuwanderung war in den ersten Jahren, vor allem auch in Vorarlberg, eine nahezu reine Männerangelegenheit.“

Auch in einem Artikel des ORF Tirols von 2020 finden sich noch Aussagen wie:

„Nach Innsbruck und Innsbruck-Land kamen um die 8.000 Arbeitsmigranten, in den meisten Fällen waren dies Männer, nur wenige Frauen kamen als Arbeitsmigrantinnen nach Österreich“.

In meiner Masterarbeit habe ich mich damit beschäftigt, weibliche Arbeitsmigration zwischen den Jahren 1960 bis 1980 nach Tirol und Vorarlberg auch in Zahlen sichtbar zu machen. An die genauen Zahlen zu kommen war kein leichtes Unterfangen, denn oft wurde in den Statistiken nicht zwischen Männern und Frauen unterschieden. Dennoch lassen sich die vorhandenen Bruchstücke zu einem größeren Bild zusammenfügen. Es zeigt sich sehr deutlich, dass sowohl in Vorarlberg, als auch in Tirol, ein großer Prozentsatz der Arbeitsmigration, auch bereits zu Beginn, weiblich war.

Bereits 1963 wurden 25,52% der ausgestellten Beschäftigungsgenehmigungen in Tirol an Frauen vergeben. In den nächsten Jahren wuchs dieser Anteil stetig an. 1974 wurden bereits 33,73% der Beschäftigungsgenehmigungen an Frauen ausgestellt. Auch für Vorarlberg finden sich ganz ähnliche Zahlen. 1967 waren von den knapp 9000 ausländischen Arbeitskräften in Vorarlberg 2.584 Frauen, was einem Prozentanteil von 29,2% entspricht. Dies widerlegt die getätigten Aussagen, dass besonders in den ersten Jahren der Anwerbeabkommen die Arbeitsmigration eine „nahezu reine Männerangelegenheit“ war. Natürlich bleibt die Frage bestehen, ab wann man von einer „reinen Männerangelegenheit“ spricht, allerdings fallen ein Viertel bis ein Drittel der ausländischen Beschäftigten relativ deutlich nicht mehr in diese Kategorie.

Neben diesen Zahlen war es mir aber auch wichtig die persönlichen Erlebnisse von Frauen, die aus der Türkei und aus Jugoslawien nach Vorarlberg und Tirol migriert sind, sichtbar zu machen. Dafür habe ich für diese Arbeit vier Interviews geführt und anhand der vier Punkte Diskriminierung, Schwangerschaft und Geburt, Kinderbetreuung sowie gesellschaftliche Teilhabe analysiert. Die Analyse hat gezeigt, dass alle vier Frauen, obgleich ähnlicher Voraussetzungen und ähnlicher Arbeitstätigkeiten, einerseits ganz unterschiedliche Erfahrungen in Österreich gemacht haben und doch mit ähnlichen Schwierigkeiten konfrontiert waren. Zwei der befragen Frauen sind aus der Türkei migriert, die anderen zwei aus Ex-Jugoslawien. Es wurde schnell deutlich, dass alle vier Frauen eine ähnliche Bildungsbiographie aufweisen. Außerdem wurden sie in typischen Branchen für weibliche „Gastarbeiterinnen“ angestellt. Alle vier der befragten Frauen arbeiteten zuerst in der Textilbranche. Danach wechselten sie zum Teil in die Lebensmittelindustrie, oder in die Tourismus- und Reinigungsbranche.

Interessant war auch, dass die verschiedenen Einreisewege in den Interviews deutlich wurden. Eine der Frauen meldete sich selbstständig beim Arbeitsamt in Istanbul und reiste ledig nach Österreich ein. Eine andere Frau wurde direkt von einem Angestellten der Vorarlberger Firma Doppelmayr zusammen mit ihrem Mann angeworben und die anderen zwei Frauen folgten ihren Männern nach, die bereits in Österreich arbeiteten.

Ein weiterer Punkt der spannend war, waren die verschiedenen Arten der Kinderbetreuung. Die Betreuung der Kinder mit einer Arbeitstätigkeit zu verbinden, war für alle Frauen eine Herausforderung. Eine beliebte Strategie war es, mit dem Mann in abwechselnden Schichten zu arbeiten. Da Nachtarbeit für Frauen bis 1998 verboten war, führte dies zu einer Verschiebung der Care-Arbeit. Da die Frauen untertags arbeiten waren, übernahmen die Väter einen großen Teil der Care-Arbeit und der Kinderbetreuung. Auch eine der interviewten Frauen, wandte diese Strategie an. Eine andere Möglichkeit war es, die Kinder im Heimatland bei den Eltern zurückzulassen, oder die Kinder in Österreich zu einer Pflegefamilie unter der Woche zu bringen. Drei der Interviewten Frauen benutzen diese Möglichkeit, um weiter einer Vollzeitarbeit nachgehen zu können. Mutterschaft und Berufstätigkeit schlossen sich also nicht aus, wenngleich diese Vereinbarkeit mit einigen Hürden einher ging.

Ein großes Problem war auch die rechtliche Diskriminierung von ausländischen Frauen. Eine der Frauen verließ Österreich nach der Geburt ihrer Kinder für einige Jahre und reiste später wieder ein. Bei dieser erneuten Einreise war ihre Aufenthaltsgenehmigung jedoch an die ihres Mannes gebunden. Dieser Passus des Ausländerbeschäftigungsgesetztes führte dazu, dass Frauen praktisch an ihre Ehemänner gekettet waren, selbst im Fall von häuslicher Gewalt, was bei einer Frau eine große Rolle spielte. Erst Jahre später konnte sie sich von ihrem gewalttätigen Ehemann scheiden lassen. 

Allen gemeinsam war und ist, dass sie als junge Frauen in ein fremdes Land kamen, dessen Sprache sie nicht verstanden und in dem sie sich zurechtfinden mussten. Sie arbeiteten in schlecht bezahlten Hilfsarbeiterjobs in der Textil-, Tourismus- oder Reinigungsbranche und mussten Wege finden, das Muttersein mit der Arbeitstätigkeit zu verbinden. Auch heute führen sie unterschiedliche Leben, sind aber alle sowohl mit ihrem Heimatland als auch mit Österreich stark verbunden.

Schlussendlich haben diese Frauen, die zwischen 1960 und 1980 aus der Türkei oder aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Vorarlberg und Tirol kamen, ganz unterschiedliche Erfahrungen gemacht und sehr verschiedene Leben geführt. Gemein ist ihnen, dass sie alle von der Mehrfachdiskriminierung durch Geschlecht, Ethnizität und class betroffen waren. Dennoch waren und sind sie keine passiven Opfer, sondern haben ein Leben zwischen zwei Heimaten geführt, Kinder großgezogen, oft ihr gesamtes Leben lang gearbeitet und so zum Wirtschaftsaufschwung Österreichs beigetragen. Sie verdienen es, gesehen und gehört zu werden, wozu meine Masterarbeit einen Beitrag zu leisten versucht.

 

Eine nahezu reine Männerangelegenheit? : Weibliche Arbeitsmigration nach Vorarlberg und Tirol zwischen 1960–1980 / vorgelegt von Vera Flatz, BEd Innsbruck 2021

 

Quellen

Abbildung: Vorarlberger Nachrichten, 21.7.1973.

Erika Thurner, Der "goldene Westen"? Arbeitszuwanderung nach Vorarlberg seit 1945 (Studien zur Geschichte und Gesellschaft Vorarlbergs), Bregenz 1997, S. 10.

Christoph Praxmarer, Auf der Spur der Gastarbeit in Innsbruck, in: tirol.orf.at, 17.06.2020, [Auf der Spur der Gastarbeiter in Innsbruck - tirol.ORF.at], eingesehen 11.03.2021

Arbeiterkammer Tirol, Jahresberichte 1960-1974.

Erich Essig, Ausländische Arbeitskräfte in Vorarlberg, Dissertation Innsbruck 1972, Tabelle 37.

Sedef Gümen, Frauen, Arbeitsmarkt und Einwanderungsgesellschaft. (k)ein Thema für die Frauenforschung, in: María d. Castro Varela/Dimitria Clayton (Hrsg.), Migration, Gender, Arbeitsmarkt. Neue Beiträge zu Frauen und Globalisierung (Aktuelle Frauenforschung), Königstein/Taunus 2003, S. 30–57, hier: S. 225.

Alev Korun, Frauen in der Migration, in: Hakan Gürses (Hrsg.), Gastarbajteri. 40 Jahre Arbeitsmigration, Wien 2004, S. 69–80, hier: S. 70.

IMZ Newsletter Anmeldung

Mit einer kostenlosen Newsletter-Anmeldung erhalten Sie regelmäßig die neuesten Infos und Angebote direkt per E-Mail. Schnell, einfach und jederzeit abbestellbar.