IMZ-Newsletter #55 März 2023
- "Es braucht alle in Tirol lebenden Menschen, um aus der Integration einen gesamtgesellschaftlichen Prozess zu machen, bei dem alle Menschen einen Platz in unserem sozialen Gefüge haben, sich zugehörig und nicht ausgeschlossen oder vergessen fühlen."
LHStv. Dr. Georg Dornauer im Interview
- ARAtirol regt öffentliche Diskussion zu menschenverachtenden Praktiken im Fasnachtstreiben an
Vom ORF über Armin Wolf bis hin zu HEUTE: Die Kritik von ARAtirol am maskierten Rassismus wurde umfassend aufgegriffen - Die Präsenz des „Fremden“ in der „Volkskultur“: Lara Eder wirft einen Blick in das Tiroler Volkskunstmuseum
Der Text ist ein Teil des neuen Stadtspazierganges: Innsbruck Postkolonial: Spuren, Orte, Geschichten. Neue Wege durch die Stadt. - Eltern-Kind-Treffen für Familien Schwarzer Kinder
Die monatlichen Treffen stärken das positive Selbstbild der Kinder und bieten Eltern die Möglichkeit, sich auszutauschen. - bilding grenzenlos bietet in den Sommerferien kostenlose Workshops für Kinder mit Fluchterfahrung an
Die vielfältigen Workshops im Innsbrucker Rapoldipark bieten Raum für grenzenlose Kreativität und tolle Gemeinschaft. - Einladung zur Kundgebung "Raus aus der Bubble - Misch dich ein" am 21.März, dem internationalen Tag gegen Rassismus
ARAtirol und Dominoeffekt laden gemeinsam zu einer Kundgebung am 21.März vor das Tiroler Landestheater
- Hannes Gstir – Integration als Agenda
Persönliche Notizen von Gerhard Hetfleisch zum Pensionsantritt von Hannes Gstir - Kurz vor seinem Pensionsantritt blickt Hannes Gstir auf mehr als 20 Jahre Integrationsarbeit zurück und
"Ich habe es immer als Privileg gesehen, aktiv am Zusammenleben in unserer Gesellschaft mitarbeiten zu können." - ...hinterlässt quer durch die Szene einen bleibend positiven Eindruck
- Flucht ins Archiv: Einladung zur DAM-Tagung
DAM und ZeMiT laden am 30. & 31. März 2023 zur Tagung "FLUCHT ins ARCHIV: Migration, Flucht, Rassismen – Dokumentieren und Archivieren" in den Saal des ÖGB ein. - Exkursionsbericht: Dokumentationsarchiv Migration Tirol: „Nicht nur Archiv, sondern auch Büro“
Studierende statteten dem DAM gemeinsam mit Univ.-Prof.in Andrea Zink vom Institut für Slawistik einen Besuch ab und hielten ihre Erfahrungen fest. - Recht am Freitag: Neues Bildungsangebot im ZeMiT
Einmal monatlich veranstaltet das ZeMiT eine Fortbildung für alle Interessierten
Zum Nachlesen...
- Gudrun Biffl, Peter Huber (2023): Migration und Arbeit. Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Band 3 der Reihe Migration &
- Wiebke Sievers, Rainer Bauböck, Ivan Josipovic, Dženeta Karabegović, Kyoko Shinozaki (Hg.) (2022): Jenseits der Migrantologie: Aktuelle Herausforderungen und neue Perspektiven der Migrationsforschung; Jahrbuch Migrationsforschung 6, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
- Integration von Migrantinnen in Österreich. Politiken und Maßnahmen. Saskia Heilemann 2022
und wie immer...
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LHStv. Dr. Georg Dornauer im Interview mit dem IMZ
Seit dem 25. Oktober 2022 ist der SPÖ-Politiker Dr. Georg Dornauer als Landeshauptmannstellvertreter in der Landesregierung Mattle für die Bereiche Wohnbauförderung, Sport und Integration sowie die Liegenschaften des Landes zuständig. Der ehemalige Bürgermeister von Sellrain hat im Zuge dessen die Integrationsagenden wieder aus dem Sozialressort genommen und zur Chefsache erklärt. Im Interview mit dem IMZ gibt er Einblick in seine Zielsetzungen und Grundhaltungen zum Thema.
LHStv. Georg Dornauer. Foto: SPÖ, Die Fotografen
In der letzten Regierungsperiode waren die Themen Migration und Integration der Soziallandesrätin zugeordnet. Was hat Sie dazu bewogen, sie aus diesem Themenkomplex herauszunehmen und zur Chefsache zu erklären?
Vor allem in einer Zeit wie dieser, die von Krisen, Unsicherheiten und Umbrüchen geprägt ist, hat die soziale Sicherheit aller in Tirol lebenden Menschen oberste Priorität. Dazu gehört auch die Einbindung und Integration von zugewanderten und geflüchteten Menschen in Tirol, die aber zusätzlich die ganze Bandbreite des gesellschaftlichen Lebens beinhaltet und daher als Querschnittsmaterie zu sehen ist, weil sie alle in Tirol lebenden Menschen betrifft. Integration ist ein wesentlicher Faktor bei der Gestaltung des Zusammenlebens in Tirol und es ist mir ein besonderes Anliegen, die Chancen der Migration und der sich daraus ergebenden Vielfalt zu nutzen und den damit verbundenen Herausforderungen sachlich zu begegnen.
Das Leitbild "Zusammenleben in Tirol" wurde von Ihrer Koalition in das Regierungsprogramm übernommen. Welche Schwerpunkte planen Sie im Bereich Migration/Integration/Flucht zu setzen?
Das Tiroler Integrationsleitbild wurde 2019 in einem breiten Partizipationsprozess unter Einbindung vieler Expert*innen aus unterschiedlichen Bereichen erarbeitet. Die darin beinhalteten Ziele gilt es weiter zu bearbeiten und mit Leben zu erfüllen. Es geht vorrangig darum, das gegenseitige Verständnis zwischen Zugewanderten und länger ansässiger Bevölkerung zu stärken, weil es essentiell für ein gutes Zusammenleben ist. Dabei braucht es einen intensiven Austausch, um gemeinsame Werte und Vorstellungen eines gelingenden Zusammenlebens zu finden - wichtig dafür ist die deutsche Sprache, denn sprachliche Barrieren erschweren den Integrationsprozess enorm.
Im Bereich Flucht, Asyl und Grundversorgung gilt es, sich gemeinsam mit den Gemeinden und der Bevölkerung unaufgeregt und pragmatisch um ausreichend Plätze und Lösungen zu bemühen. Ich setze dabei auf offene und klare Kommunikation und auch auf ein ehrliches Ansprechen von den damit verbundenen Problemen und Herausforderungen.
Viele Arbeitsstellen und Einrichtungen im Sozialbereich sind von Landesförderungen abhängig. Derzeit besteht eine bange Unsicherheit, ob die Lohnerhöhung von 8% aus dem SWÖ-Kollektivvertrag 2023 für die Höhe der Landesförderungen übernommen werden. Welche Haltung vertreten Sie hier und wann wird die Landesregierung darüber entscheiden?
Angesichts der Teuerungssprünge der letzten Monate wurden die Löhne des SWÖ-Kollektivvertrages erhöht. Dies betrifft zum Teil auch Mitarbeiter*innen in Vereinen, Initiativen und Einrichtungen im Bereich der Integration, die für das Zusammenleben in Tirol einen wichtigen Beitrag leisten – eine herausfordernde und anspruchsvolle Arbeit, die entsprechend entlohnt werden muss. Es besteht innerhalb der Tiroler Landesregierung ein Konsens, Förderungsempfänger*innen des Landes Tirol aus den Bereichen Soziales, Kultur, Bildung, Generationen und Sport zur Bewältigung von nachgewiesenen Mehraufwendungen im Zuge der Teuerungswelle bei Bedarf mit einem zusätzlichen Förderbetrag zu unterstützen. Dabei wird dem Bedarf einer Valorisierung gegenüber dem vorangegangenen Jahr Rechnung getragen, sofern dies nachvollziehbar und im Rahmen des Budgets möglich ist.
Möchten Sie den Leser:innen darüber hinaus etwas mitteilen?
Ich werde mein Bestes geben, in meiner politischen Verantwortung einen Rahmen zur gelingenden Integration zu bauen. Das tatsächliche Miteinander findet allerdings abseits des Landhauses statt. Dafür ist die wertvolle Arbeit von Organisationen, Vereinen und Freiwilligeninitiativen ein unschätzbarer Beitrag und verdient unser aller Respekt. Noch einen Schritt weiter gedacht braucht es aber alle in Tirol lebenden Menschen, um aus der Integration einen gesamtgesellschaftlichen Prozess zu machen, bei dem alle Menschen einen Platz in unserem sozialen Gefüge haben, sich zugehörig und nicht ausgeschlossen oder vergessen fühlen. Voraussetzung dafür ist ein positiver Zugang, um gemeinsame Werte und Ziele zu finden und zu verfolgen, wie auch eine klare Abgrenzung gegenüber Rassismus und allen Formen der Diskriminierung.
Die Fragen stellte: Andrea Possenig-Moser
ARAtirol regt öffentliche Diskussion zu menschenverachtenden Iszenierungen im Fasnachtstreiben an
Vom ORF über Armin Wolf bis hin zu HEUTE: Die Kritik von ARAtirol am maskierten Rassismus wurde umfassend aufgegriffen
Ende Februar 2023 bekam ARAtirol eine Meldung zu verstörenden und vermeintlich rassistischen Inszenierungen beim Thaurer Mullerlauf am Unsinnigen Donnerstag 2023. Auf Grund dessen haben wir recherchiert und konnten uns mittels Bildmaterial und Videomitschnitten davon überzeugen, dass die Inszenierung beim Thaurer Fasching eindeutig als rassistisch und menschenverachtend einzustufen ist, auch wenn sie auf vermeintlich langer Tradition beruht. Dazuzulernen ist auch im Rahmen von Tradition erlaubt. Wir haben in der Folge auch Kontakt mit Ethnolog*innen aufgenommen, die sich ebenfalls kritisch äußerten und uns darin unterstützten, auf diesen "faschingshaft verkleideten Rassismus zu reagieren. Der Respekt vor der ‚Tradition‘ solle gewisse Grenzen haben, und hier sei eine erreicht."
Unsere Presseaussendung wurde in der Folge von Benedikt Kapferer vom ORF-Tirol zum Anlass genommen, den Fall aufzugreifen und auch die Thaurer Muller dazu zu befragen. Sein Bericht auf orf.tirol wurde auch bundesweit auf orf.at veröffentlicht, von Armin Wolf auf Twitter geteilt und vielfach kommentiert und in weiterer Folge auch in bundesweiten Medien aufgegriffen. Mittlerweile sind in den unterschiedlichen Medien auch Bildmaterial und einige Videomitschnitte zu sehen. Bei ARAtirol klingelte daraufhin ordentlich das Telefon: Dankbare oder erzürnte Anrufer*innen und weitere Presseanfragen bestätigten uns, dass wir ein wichtiges Thema angestoßen haben und somit eine notwendige Diskussion in Gang gekommen ist.
Rassistische Diskriminierungen sind leider nicht nur im Fasching für viele Menschen Realität. Auch Alltagsrassismen, die im privaten und öffentlichen Umfeld stattfinden, müssen in den Blick genommen werden. Die Bandbreite reicht hier von wiederholten verbalen Kränkungen und Geringschätzungen über körperliche Übergriffe, Ausschlüsse bis hin zu institutionellen und strukturellen Benachteiligungen und Diskriminierungen. In unserer Beratung erleben wir, dass diese Erfahrungen und Diskriminierungen auch in Tirol Teil der gesellschaftlichen Realität sind. Umso wichtiger ist es für uns, auch über den Fasching hinaus, am Thema zu bleiben, auf Missstände hinzuweisen und betroffene Personen zu unterstützen. In unserem Selbstverständnis vertreten wir eine offene und stets dialogbereite Haltung. In diesem Sinne liegt ein großes Augenmerk in unserer Arbeit auf der Einzelfallberatung sowie auf Bildungsangebote für unterschiedliche Zielgruppen.
Wir planen zukünftig einen Austausch mit Ethnolog*innen und Kulturschaffenden zu den Themen ‘Tradition‘, Diskriminierung und Rassismus und möchten mittelfristig auch Angebote für den Dialog mit Vereinen und der interessierten Öffentlichkeit entwickeln.
Dass Tirol und Innsbruck durchaus mit kolonialer Geschichte in Zusammenhang gebracht werden können, zeigt auch ein aktuelles Projekt: Innsbruck Postkolonial - EINE STADT MITTEN IN DEN BERGEN - VERSTRICKT IN GLOBALE KOLONIALE VERHÄLTNISSE?. Der virtuelle Stadtspaziergang führt zu 29 Schauplätzen kolonialer Geschichte in Innsbruck und lädt ein zum Erkunden von Spuren, Orten und Geschichten – und damit auch zum Nachdenken über Ungleichheiten, Rassismus und Widerstand bis in die Gegenwart. Die im Stadtraum konkret verorteten Stationen wurden im Rahmen einer gemeinsamen Lehrveranstaltung der Zeitgeschichte und der Europäischen Ethnologie von Studierenden recherchiert und in Kooperation mit der Stadt Innsbruck umgesetzt. Die Station beim Tiroler Volkskunstmuseum befasst sich dabei explizit mit der Darstellung des "Fremden" in der Tiroler Volkskultur.
Weitere Infos zu den Fasnachtsbräuchen und die Einschätzung von zwei Experten finden Sie hier:
Expertise über die Bewerbung zur Eintragung des „Telfer Schleicherlaufens“ in die nationale Liste des immateriellen Kulturerbes Österreichs, von Dr. Karl C. Berger
Gutachten über die Bewerbung der Gemeinschaft der Fasnachtler der MARTHA-Dörfer (Mühlau, Arzl, Rum, Thaur, Absam) zur Eintragung des Fasnachtsbrauchs Mullen bzw. Matschgern in die nationale Liste des immateriellen Kulturerber
Die Präsenz des „Fremden“ in der „Volkskultur“
Innsbruck – postkolonial. Spuren, Orte, Geschichten:
Die Stationen des virtuelle Stadtspaziergangs Innsbruck postkolonial durch Innsbruck befassen sich mit Themen von Konsum bis Widerstand. An 29 Schauplätzen in Innsbruck werden Spuren kolonialer Geschichte aufgezeigt.
Lara Eder wirft bei der Station zum Tiroler Volkskunstmuseum einen aufschlussreichen Blick auf die Präsenz des „Fremden“ in der „Volkskultur“. Wir geben ihren Beitrag hier wieder.
Im Alltag einer österreichischen Migrationsgesellschaft sind „fremde“ Menschen heute als alltäglich präsent. Sie waren dies aber in „volkskulturellen“ Bezügen auch früher schon. So kennen wir die Heiligen Drei Könige der Sternsinger oder fastnächtliche Figuren mit Holzmasken, bekannt sind auch die (Weihnachts-)Krippen und Krippenfiguren, in denen „Fremde“ dargestellt werden. Im Volkskunstmuseum, das 1929 im ehemaligen Franziskanerkloster eröffnet wurde, sind entsprechende Figuren in Vitrinen ausgestellt und finden sich auch zahlreich in den Sammlungen. Die Dauerausstellung „Das pralle Jahr“ zeigt Masken von Maschgerer Faschingsbräuchen oder einen Sternsingerstern, während in der Abteilung „Miniaturen des Evangeliums“ verschiedene Weihnachtskrippen zu finden sind.
Die Heiligen Drei Könige sind zentraler Bestandteil der katholischen Krippen. Sie verweisen auf die unterschiedlichen Erdteile, von denen lange nur drei bekannt waren. Die Geschenke der Heiligen Drei Könige – Myrrhe, Gold, und Weihrauch – stammen ursprünglich auch aus nicht europäischen Ländern, sind also „fremde Güter“. Myrrhe kommt aus Somalia, Äthiopien oder Südarabien und Weihrauch hat seine Herkunft auf der Arabischen Halbinsel, in Ostafrika und Indien. Dabei ist vieles an der eigentlichen Geschichte des Dreikönigsbrauchs unklar. So unterscheidet sich in verschiedenen Überlieferungen die Anzahl der Könige, die auch als Magier, Sterndeuter oder Weisen auftreten. Auch ihre Herkunft, ihre Geschenke und sogar ihre Namen variieren. Im Christentum wurden die Heiligen Drei Könige ehemals als Herrscher über Nubien und Arabien, Godolien und Saba, sowie Tarsis dargestellt. Diese Regionen werden auch oft als die „drei Indien“ bezeichnet. Später sollen die Heiligen Drei Könige dann die drei damals bekannten Kontinente repräsentiert haben: Asien, Afrika und Europa.
Im 14. Jahrhundert wurde dann aufgrund des Interesses am „exotischen Afrika“ und der Mission des Christentums einer der Könige, meist Kaspar, als dunkelhäutig dargestellt. Das Mittelalter war von einer Faszination für das „Fremde“ und „Exotische“ gekennzeichnet, wodurch sich auch die Reittiere der drei Figuren von Pferden zu Dromedaren wandelten. Im 15. Jahrhundert zeigte sich diese Faszination auch in der Kunst, in der Kaspar immer noch „exotischer“ dargestellt wurde. Gemäß theologischer Deutung ist die Anbetung des kleinen Jesus durch die Heiligen Drei Könige ein Beleg dafür, dass Jesus und das Christentum alle Menschen der Welt lieben und sich alle, egal welcher Herkunft, dem Christentum zuwenden können. Zugleich wurde so auf die „weltumspannende Bedeutung“ des Christentums hingewiesen. Der missionarische Anspruch des Christentums wird auch in der Tradition des Sternsingens sichtbar, in welcher die Tiroler Kinder beispielsweise 1962 für ihre „Brüder und Schwestern“ in Missionsgebieten sangen: „Alle Kinder dieser Erden sollen Gotteskinder werden“ (vgl. auch Station Mission Impossible?). Auch deshalb wird teils immer noch ein Kind pro Sternsinger-Gruppe schwarz geschminkt, ihm also ein sogenanntes „Blackface“ gemalt. Obwohl Jesus laut christlichem Glaube alle Kinder so liebt, wie sie
sind, beinhalten einige der älteren Sternsinger-Lieder rassistische Verse und aus heutiger Sicht problematische Formulierungen. Allerdings beginnt sich die Tradition des Bemalens beim Sternsingen zu ändern. Immer mehr Gemeinden sprechen sich gegen die Bemalung aus und machen dies bereits auf ihren Websites deutlich, indem sie dort erklären, dass jedes Kind so kommen soll, wie es ist. Neben den Heiligen Drei Königen und der Tradition des Sternsingens finden sich auch in anderen Bräuchen populäre Darstellungen „fremder“ Menschen, so etwa in den Maschgerer-Masken und Fasnacht-Gruppen. Bei der berühmten Fasnacht in Imst, dem Imster Schemenlaufen, existiert die Gruppe der fünf sogenannten „Mohrenspritzer“, deren schwarzbemalte Maske mit roten Lippen rassistische Stereotypen bedient. Die Kostümierung ist die eines adligen Prinzen mit Seiden- und Pelzgewand, langer Perücke, Armreifen und Federkrone. Damit stellt er wohl eine Art „Hofmohr“ der absolutistischen Fürstenhöfe dar, wobei sich die Faszination für das Exotische mit abwertenden Darstellungen verbindet. In Telfs wiederum tritt bei der Fasnacht eine Gruppe namens die „Bärengruppe und die Orientalen“ (heute: „die Bären und Exoten“) auf, die unter anderem aus Elefantentreibern besteht, welche ihre Gesichter schwarz anmalen. So wird deutlich, dass die Darstellungen von dunkelhäutigen Menschen in „Traditionen“ der „Volkskultur“ schon lange präsent sind. Gleichzeitig wächst das Bewusstsein um die Problematik solcher Darstellungen. Es bleibt spannend, zu beobachten, wie sich die Tiroler „Volkskultur“ diesbezüglich in den kommenden Jahren wandeln wird. (Lara Eder, Innsbruck postkolonial)
Eltern-Kind-Treffen für Familien Schwarzer Kinder
Seit November 2022 finden einmal im Monat Eltern-Kind-Treffen für Familien mit Kindern, die als Schwarz, PoC, Kids of Colour oder (afro-)österreichisch gelesen werden, statt. Diese Treffen dienen der Stärkung des positiven Selbstbildes der Kinder und schaffen einen Ort, an dem die Kinder unbeschwert spielen, singen, basteln und toben können. Für Eltern sind die Treffen eine Möglichkeit, sich in angenehmer Atmosphäre mit anderen Familien auszutauschen und zu vernetzen, um die Kinder bestmöglich zu unterstützen.
Die Treffen finden einmal im Monat sonntagnachmittags statt.
Nächste Termine:
19. März 2023
23. April 2023
21. Mai 2023
11. Juni 2023
Mehr Informationen finden Sier hier.
bilding grenzenlos bietet in den Sommerferien kostenlose Workshops für Kinder mit Fluchterfahrung an
bilding grenzenlos ist ein integratives Kunst- und Architekturprojekt, welches speziell auf die aktuelle Fluchtsituation von Kindern und Jugendlichen in Tirol reagiert. Unter dem Motto bilding grenzenlos wird auch 2023 das gesamte Sommerprogramm im bilding stattfinden. Seit Jahren veranstaltet bilding ein umfangreiches kreatives Sommerprogramm mit einer großen Anzahl von Kindern, Jugendlichen und einem hochmotivierten KünstlerInnen-Team aus allen Sparten der Kunst und Architektur. So unterschiedlich die Programme sind, das verbindende Gemeinsame der Sommerwerkstätten ist die große Freiheit – und nichts Weniger gibt uns auch heuer Anlass, allen Kindern, die kriegsbedingt genau dieser Freiheit in ihrem gewohnten Umfeld beraubt wurden, eine adäquate Alternative in der Fremde zu bieten. Von allen verfügbaren Workshopplätzen werden wir die Hälfte Kindern mit Fluchthintergrund kostenlos zur Verfügung stellen. Mit bilding grenzenlos wollen wir ein solidarisches Zeichen für den Frieden setzen. Kinder brauchen Freiraum und Frieden, um ihre Kreativität leben und ihre Persönlichkeit frei und umfassend entwickeln zu können. bilding grenzenlos soll allen Kindern einen gemeinsamen kreativen Freiraum bieten.
Werkstätten für Kinder ab 7 Jahren:
10.7. bis 14.7. Architekturwerkstatt – LABilding hoch hinaus
17.7. bis 21.7. Architekturwerkstatt – LABilding tief hinein
24.7. bis 28.7. Sommerakademie – LABilding, das experimentelle Raumlabor 01
31.7. bis 04.8. Sommerakademie – LABilding, das experimentelle Raumlabor 02
Werkstätten für Kinder ab 8 Jahren:
07.8. bis 11.8. bilding grenzenlos – Kunst verbindet 01
14.8. bis 18.8. bilding grenzenlos – Kunst verbindet 02
21.8. bis 25.8. bilding grenzenlos – Kunst verbindet 03
28.8. bis 01.9. bilding LUFTIKUS
Werkstätten für Kinder von 4-6 Jahren:
24.7. bis 27.7. mini-Sommerakademie – Zorby auf Forschungsreise 01
31.7. bis 03.8. Zorby auf Forschungsreise 02
offene Werkstatt für alle:
24.7. bis 28.7. & 31.7. bis 04.8. PARKLAB – das Labor in allen Farben
Bei Interesse bitte bei uns melden Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
https://www.bilding.at/workshops-events/bilding-grenzenlos-2/
Einladung zur Kundgebung RAUS AUS DER BUBBLE
Am 21. März 2023, dem Internationalen Tag gegen Rassismus, startet das Projekt DOMINOEFFEKT in Kooperation mit ARAtirol mit einer Kundgebung vor dem Tiroler Landestheater.
Welche Haltungen und Forderungen verbinden sozial engagierte Menschen? Kommt vorbei und mischt euch ein!
Um diese Gemeinsamkeit nach Innen und Außen zu demonstrieren, laden wir am 21.3.2023 zwischen 12:00 und 15:00 Uhr alle Vertreter:innen von Sozialeinrichtungen zu einer Kundgebung vor dem Innsbrucker Landestheater ein.
Hannes Gstir – Integration als Agenda
von Gerhard Hetfleisch
Meine sehr persönlichen Notizen zum Abschied von Mag. Johann Gstir sind der Kern dieses Textes. Hannes war Leiter des Referats für Integration und ein langjähriger Weggefährte im Arbeitsfeld Integration, Migration und Flucht. Gerahmt sind die Notizen von einer Skizze zum historischen Kontext. Die abschließenden zwei Passagen sind eine stille Post „an die Nachgeborenen (…) in einer finsteren Zeit“ (Berthold Brecht).
Auch in den späten 1980er Jahren - unverkennbar Hannes Gstir.
Österreich wurde früh zum Einwanderungsland. In den ersten Jahrzehnten der 2. Republik kamen primär Flüchtlinge aus dem sog. Ostblock über die Grenzen. Ein Teil der Bevölkerung dieses Landes leistete wertvolle Hilfe, das offizielle Österreich sah sich aber als bloße Erstanlaufstelle mit Drehscheibe für den Transfer der Flüchtlinge in andere Länder. Bis Mitte der 1980er Jahr blieb „Integration“ den Migrant*innen selbst überlassen. Vereine oder in vereinsähnlichen Selbsthilfestrukturen kooperierende Gruppierungen gaben den Zuziehenden ersten Rückhalt und Orientierung im “Gastland“. Sie schufen Orte der Begegnung in der Freizeit, die eine informelle Börse für Wohnungen und Arbeit, Hilfsnetz in sozialen und anderen Problemlagen waren. Sehr oft war es die Nachbarschaftshilfe, die erste integrative Netze zur Mehrheitsgesellschaft knüpfte, die mit Lernhilfe eine Brücke für bemerkenswerte Karrieren von zugezogenen Kindern legte. Die erste integrative Wende gab es Mitte der 1980er Jahre. Gestützt auf Studien wurde von Bundesminister Alfred Dallinger der Fokus der Integration von Jugendlichen in den Arbeitsmarkt als gesellschaftsrelevante Aufgabe erkannt. Die ersten integrativen arbeitsmarktpolitischen Beratungseinrichtungen wurden vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales in sechs Bundesländern eingerichtet, eine davon, die Ausländerberatungsstelle Tirol, hat der Minister am 3. Juli 1985 höchstpersönlich eröffnet, obwohl da nur drei Beschäftigte werkten.
Mit dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ und Ende des Kalten Krieges Anfang der 1990er Jahre kam sowohl die Frage der Grenzen der EU wie auch die der Integration von hunderttausenden Schutz und Arbeit suchenden Menschen – vor allem aus dem zerfallenden Jugoslawien – auf die Agenda der Mitgliedsstaaten der EU, und die von Österreich, schon im Vorfeld des Beitritts 1995 und danach als Grenzland der EU. Das im Naziduktus in den 1960er Jahren geprägte Bild vom „Fremdarbeiter“ und „Gastarbeiter“ aus der Türkei und Jugoslawien änderte sich gravierend. Die Zuziehenden kamen nun aus fernsten Ländern der Welt. Sie kamen auch in allen Bundesländern an, da 1990 das Bundesbetreuungsgesetz aus der Taufe gehoben wurde. Trotz Widerständen sorge es a la longue für eine relativ gerechte Verteilung der Flüchtlinge auf alle Bundesländer. Schlagend wurde der gesetzlich festgelegte Mechanismus vor allem im Bosnienkrieg 1993 bis 1995. Die gerne gehegte altösterreichische Illusion, bloß Durchlaufstation für Kriegsflüchtlinge zu sein, griff nicht mehr. Der Druck zur Integration von Flüchtlingen, später auch Migrant*innen, wuchs. Von den rund 90.000 angekommenen Kriegsflüchtlingen blieben rund 60.000 für immer im Land. Unter dem Panier und Schlachtruf „Integration“ entwickelten in diesem Jahrzehnt – verteilt über das Bundesgebiet – Hilfsnetzwerke großer privater Organisationen, wie Diakonie, Caritas, Volkshilfe und viele mit kleineren, lokalen und regionalen Trägern integrative Schwerpunkte. Der Integrationsfonds und das Integrationshaus im Bundesland Wien, mit Ostbahnkurti im Vorstand, waren die anregenden guten Beispiele für Aktivist*innen der Bundesländer.[i]
Integration in Tirol
Mit der Jahrtausendwende wurde Integration in Tirol als eigenständige Aufgabe der öffentlichen Hand, der Gebietskörperschaften und Gemeinden anerkannt und institutionalisiert. Mit Beschluss der Tiroler Landesregierung vom 17. Juli 2001 wurde in der Abteilung JUFF der Fachbereich Integration eingerichtet. Es gab ein eigenes jährliches Budget. Dieses war „überschaubar“ – gemessen an anderen Bundesländern – und blieb es auch für mehr als ein Jahrzehnt. Ein Integrationsbeauftragter wurde bestimmt und mit Mag. Johann Gstir gefunden. Hannes leitete das Referat mehr als zwanzig Jahre, er beeinflusste die integrativen Geschicke des Landes maßgeblich, primär soweit diese Ländersache waren. Unter seiner Federführung und mit Rückendecken von Landesrätin Elisabeth Zanon wurde 2006, nach dreijähriger Arbeit, das Integrationskonzept des Landes Tirol präsentiert - das erste eines Bundeslandes in Österreich. Einige Gemeinden Tirols setzten, vernetzt mit dem Referat, eigenständige integrative Akzente, wie beispielsweise Innsbruck, Imst, Wörgl, Telfs und Kufstein. Im wohlwollenden und offenen Umfeld des Referats konnten sich eine Reihe neuer Initiativen, Vereine, Projekte im Arbeitsfeld Migration etablieren, und bestehende Organisationen entwickelten integrative Arbeitsschwerpunkte, wobei in der Regel die regionale Initiative von Integrationsbewegten vor Ort ausging. Obwohl mehr als ein Jahrzehnt unterfinanziert, ermöglichte das Referat zumindest den Start zahlreicher kleinerer Projekte, initiierte und förderte weitere Schwerpunkte, gezielt Projekte für Migrantinnen (darunter Ankyra, Frauen aus allen Ländern). Die finanziell und wahrscheinlich auch inhaltlich üppigsten Zeiten erlebte das Referat unter Grüner Regierungsverantwortung und den Landesrätinnen Christine Baur und Gabriele Fischer.
Notizen zum Referatsleiter
Mag. Johann Gstir zeichnete vor allem ein professioneller Umgang bei Anträgen auf Förderungen aus. Bei Hannes gab es nicht den geringsten Anstrich von Kumpanei und im Kehrschluss auch keinen Funken bürokratisch aufgesetzter Distanziertheit. Hannes agierte immer dezent und hoch wertschätzend, mit sozialer Kompetenz, aber auch einem guten Gefühl für den erforderlichen Abstand. Die Fördernehmer werden weder in die Rolle der Bittsteller gedrängt, noch wird ihnen der Spielraum eingeengt, mit Nachdruck die Interessen der eigenen Organisation anzumelden. Jede Abgehobenheit hätte die Begegnung auf Augenhöhe unterlaufen. Unsicheren Kantonisten im Verwaltungsapparat ist die Tendenz zur Bürokratisierung die Deckfarbe, die Unsicherheit, manchmal auch Inkompetenz überspielt. Bürokratischer Firlefanz verrät die Angst vor der Hierarchie „im Haus“. Eine Eigenheit bei Hannes, die mich innerlich auch lächeln ließ, war der zwar nicht unkritische, aber – für meine Begriffe – sehr idealistisch unterfütterte Glaube an die Notwendigkeit und Kraft der Verwaltung und Institutionen (den ich so nicht teilen kann: siehe unten). Da ist Hannes ganz die Personifikation des Beamten, mit einem entsprechenden Ethos und Habitus. Dazu kommt die innere Sicherheit bis Gelassenheit, gestützt auch auf langjährige Erfahrung über die realen Wirk- und Gestaltungsmöglichkeit und deren „verbeamteter“ Grenzen.
Hannes Gstir, Gerhard Hetfleisch und Lisa Nussmüller bei der Eröffnung der neuen ZeMiT-Räumlichkeiten 2013
Kursorische Leistungsschau
Das zentrale Werkstück des Referats war zweifelsohne das Integrationsleitbild Tirol 2006 mit Neuauflage und Integrationsmonitor 2019. Es war Kompass des Handelns im Referat. Bei den wenig wahrgenommenen Inhalten sticht die leidenschaftliche Liebe von Hannes zu Büchern hervor. Die machte es möglich, dass im ZeMiT über die Jahre eine Integrationsbibliothek mit 1800 Büchern aufgebaut werden konnte. Der Integrationskalender fällt in ein ähnliches Fach, gespeist aus der prinzipiellen Lust von Hannes an Texten, diese in ein kreatives Format gebracht. In dieser Linie standen auch die erfolgreichen jährlichen, herbstlichen Integrationstagungen im Landhaus. Ein Beispiel macht die Veränderung deutlich: Fanden in den 1990er Jahren Fachveranstaltungen zu Migration, Flucht und Rassismus quasi im erweiterten, dennoch trauten Kreis statt, so erreichte die Integrationsenquete im letzten Jahrzehnt jährlich immer mehr als 150 Besucher*innen.
Ambitioniert und nicht ohne Risiko war vor etwas mehr als 10 Jahren regelmäßige Sichtung der Tagespresse zu rassistischen Statements. Politisch stand Landesrat Gerhard Reheis hinter der Aktion. Die kritikwürdigen Stellen wurden den Medien monatlich zur Kenntnis gebracht: Das zeigte Wirkung. Diese Arbeit und die Förderung von antirassistischen Initiativen, wie den Verein TIGRA und seit drei Jahren ARAtirol, zeugt von Mut und einem sehr präzisen Wissen darüber, woran „Integration“ primär krankt. Dieses Wissen fällt nicht vom Baum. Im Feld Migration und Flucht liegen in den strukturell verankerten Rassismen und vor allem in Alltagsrassismen, die eigentlich, die wahren und zentralen Stolpersteine der Gemeinschaftlichkeit und Begegnung auf Augenhöhe, die alle integrativen Aspekte konterkarieren, wenn diesem Syndrom, das sich aus gesellschaftlicher Ungleichheit nährt, nicht begegnet wird.
In den letzten Jahren erlangte die historische Aufarbeitung der Tiroler Migrationsgeschichte in enger Kooperation mit der Universität Innsbruck eine nicht unwesentliche Bedeutung. Ausstellungen im Volkskunstmuseum zeugen davon, und vor allem das Dokumentationsarchiv Migration Tirol – DAM, das es ohne die dezente Unterstützung des Referates in dieser Form und in diesem Umfang nicht gegeben hätte.
Hannes bei der Eröffnung der Ausstellung Multiversität 2019
Die Kehrseiten der (Zeit-)Geschichte
Zum hier grundsätzlich positiv kolorierten integrativen Bild der letzten Jahrzehnte soll abschließend auf Gegentendenzen verwiesen werden. Es begann damit, dass Mitte der 1990er Jahre die Flüchtlingsarbeit des Landes Tirol von der Politik bereitwillig und ohne Not in die Hände von Flüchtlingskoordinator P. L. gelegt wurde. Das war quasi die Vorschule zur schrittweisen zentralistischen Einverleibung zivilgesellschaftlicher Aufgaben. Der TSD ist der Nach- oder Irrläufer dieser politischen Agenda im regionalen Kontext. Das Meisterwerk staatlich passiver Revolution war aber die Gründung des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF). Er wurde mit enormen Mitteln ausgestatten und mit viel medialem Aufwand in Szene gesetzt und im Grabenkampf um die zentralstaatliche Hegemonie zum Sahnehäubchen hochgerüstet, Agenda „Pseudo-Integration“, indem er im kreativen zivilgesellschaftlichen Wildwuchs der Felder der Vielfalt, die Blüten der Integration pflückte, um sie der Gesellschaft dann als Plastikblumen zurückzureichen. Das Paradebeispiel für diesen Weg in die Entmündigung der Engagierten und Aktiven bietet die einst breit angelegte und politisch-zivilgesellschaftlich verankerte Flüchtlingsarbeit. Sie lag zu ihrem und der Asylsuchenden Vorteil lange in vielen Händen, wurde in Schritten an die staatliche Kandare genommen, schließlich in wenige „geschäftige“ Hände gelegt von den staatlichen Strukturen vereinnahmt. In der Unterschriftenkampagne „Schluss mit der Integrationsdebatte“ um 2010 erahnten kritisch-universitäre und zivilgesellschaftliche Aktivist*innen diese Veränderungen im Großen früh, nicht aber ihre materiell-ideologischen Konsequenzen. Der Rattenschwanz an gewinnorientierten Betrieben, die zusätzlich im Schlepptau des Zentralismus – von Staats wegen – integrieren dürfen, sind in Summe ein weiterer Beleg der Abenddämmerung der „modernen“ und neoliberalen Gesellschaften.
Postludium
Es hat ein Gutes, gerade jetzt – nach Coronalöchern und Nachwehen – von der Bühne abzutreten, quasi ein Geschenk der frühe(re)n Geburt. Im Rückspiegel hat man die gefestigten Konturen einer zwar manchmal turbulenten, nicht immer leichten, dafür offenen und erfolgreichen Integrationsarbeit, die mit viel eigenem Spielraum und Liebe zur Sache möglich wurde. Im Aufblendlicht tauchen schon länger aus nebelhaften Schatten die Konturen der Orbanisierung Österreichs auf. Die Grabenkämpfe in den Kasematten der Zivilgesellschaft gehen Schritt für Schritt in härtere Kämpfe um die Hegemonie im Staat über! Diese werden leider niemanden – auch nicht die Integrationspensionäre – ruhig schlafen lassen.
[i] Zentrum für Migranten und MigrantInnen in Tirol (gegründet 1985), Initiative Minderheiten Tirol (1991), Verein Multikulturell (1993), ARGE Schubhaft Tirol (1997), Caritas Integrationshaus (1998).
Kurz vor seinem Pensionsantritt blickt Hannes Gstir auf mehr als 20 Jahre Integrationsarbeit zurück
"Ich habe es immer als Privileg gesehen, aktiv am Zusammenleben in unserer Gesellschaft mitarbeiten zu können."
Lieber Hannes, du kannst jetzt auf 22 Jahre Integrationsarbeit zurückblicken. Das Thema ist im Zeitablauf immer wichtiger geworden, das sieht man auch daran, dass die zuständige Stelle beim Land von einer sparsamen Besetzung mit zwei Personen im Jahr 2001 auf vier Mitarbeiter:innen für das Thema Integration angewachsen ist.
Was waren die Meilensteine in deinen Berufsjahren, für dich persönlich und für die zuständige Landesabteilung?
Ein Meilenstein war sicher die Einrichtung des Integrationsreferates an sich und die Beauftragung mit der Leitung und dem Aufbau dieser Stelle.
Ein weiterer großer Schritt war der Prozess zur Erstellung des ersten Integrationsleitbildes „Integration MIT Zugewanderten in Tirol“. Die Erarbeitung war für sich genommen schon ein sehr großer Bewusstseinsbildungsprozess in verschiedenen Arbeitsfeldern und für mich selbst auch ein wichtiger Schritt zur Reflexion unserer Arbeit im Bereich Integration.
Als weiteren wichtigen Meilenstein würde ich die Einrichtung der Kommunalen Integrationskoordinatorinnen und Integrationskoordinatoren sehen, weil dieser Schritt ein wesentlicher Beitrag zur Regionalisierung der Integrationsbemühungen war. Außerdem haben wir damit genau dort angesetzt, wo Integration tatsächlich stattfindet – bei den Menschen vor Ort. Später kamen auch noch die Bezirks-Integrationskoordinatorinnen und Bezirks-Integrationskoordinatoren dazu.
Einen ganz wichtigen Beitrag leistet auch die seit 2010 jährlich stattfindende Tiroler Integrationsenquete, die vom Land Tirol in Kooperation mit der Stadt Innsbruck, dem Haus der Begegnung und dem Tiroler Integrationsforum veranstaltet wird. Diese Enqueten geben nicht nur Impulse in der Integrationsarbeit zu verschiedenen Themenbereichen, sondern bieten auch uns selbst die Möglichkeit, unsere Arbeit zu reflektieren und neue wissenschaftliche Erkenntnisse einfließen zu lassen.
Meilensteine waren aber auch immer wieder einzelne Projekte wie die Ausstellungen "Vielfalt daheim in Tirol", "integration im blick", "land.schafft.sprache" oder das Projekt "Erinnerungskulturen".
Auch die Strategie zur Integration von Geflüchteten in Tirol sehe ich als entscheidenden Schritt vorwärts. In ihrem Rahmen haben wir erstmals eine „Landkarte der Integration in Tirol“ erstellt, die einen Überblick über die Integrationsangebote und -initiativen bietet.
Mit der Evaluierung des Integrationsleitbildes aus dem Jahr 2006 und der Erstellung des neuen Leitbildes zum Zusammenleben in Tirol „Gemeinwohl und Zugehörigkeit stärken“ wurde den zwischenzeitlichen Entwicklungen Rechnung getragen: Noch mehr als bisher wird im neuen Leitbild klargestellt, dass Integration ein Prozess ist, der die gesamte Gesellschaft betrifft. Es ist ein Bekenntnis, dass Integration wesentlich für das Gemeinwohl ist, also zum Wohl aller beiträgt. Klar ist auch, dass wir dieses Ziel nur erreichen, wenn es uns gelingt, Zugehörigkeit für alle zu erreichen, die in Tirol leben.
Der bisher letzte große Schritt war wohl die Einrichtung der Deutschkurs-Koordinationsstelle: Sie bietet die Chance, im komplexen und oft sehr unübersichtlichen Feld der Deutschkursangebote und -förderungen klarere Strukturen und Transparenz zu schaffen.
Fragen rund um die Themen Migration, Integration und Flucht werden medial meist emotional und reißerisch verhandelt und neigen dazu, die Bevölkerung zu polarisieren. Mit deiner ruhigen, offenen Art und deiner klaren professionellen Haltung hast du oft deinen Beitrag dazu geleistet, Diskussionen auf sachlicher Ebene zu halten.
Siehst du einen Ausweg aus der gesellschaftlich oft so starren, polarisierenden Haltung? Wird in diesem Diskurs ausreichend miteinander geredet? Fehlt uns vielleicht auch etwas Humor?
Grundsätzlich muss hervorgehoben werden, dass uns der SORA-Integrationsmonitor, der seit 2017 alle zwei Jahre die Meinungen der Tirolerinnen und Tiroler zu Zuwanderung, Flüchtlingen und Migrantinnen und Migranten erhebt, kein polarisiertes und negatives Stimmungsbild zeichnet. Die Tirolerinnen und Tiroler haben einen pragmatisch-offenen Zugang zu Zugewanderten – vor allem in jenen Gemeinden, in denen Zugewanderte leben. Bei allen drei bislang vorliegenden Berichten des Integrationsmonitors hat sich gezeigt: Der direkte Kontakt mit Zugewanderten und Flüchtlingen prägt das subjektive Bild von Migration positiv und die Tirolerinnen und Tiroler machen sich aufgrund ihrer persönlichen Erfahrungen ein eigenes Bild. Zudem haben wir zu dieser Thematik unsere letzte Integrationsenquete mit dem Titel „Leben in der Blase – Impulse für eine Gesprächskultur in Zeiten zunehmender Polarisierung“ organisiert, weil uns die Auseinandersetzung mit diesem Thema sehr wichtig erscheint. Demokratie braucht das „im Gespräch bleiben“ dringend, um Standpunkte auszugleichen, Kompromisse zu finden und zu einem konstruktiven Miteinander zu finden.
Es bleibt ein Bemühen – von politischer Seite, von den Medien und letztlich von jeder und jedem Einzelnen. Denn das Sprengen der eigenen Blase ist mühsam, oft schwierig und konfliktbeladen. Letztlich aber lohnend. Dabei kann ein angemessenes Maß an Humor Impulse zur Offenheit schaffen und Grenzen im Denken auflösen. Gleichzeitig darf dabei die Ernsthaftigkeit und kritische Auseinandersetzung mit diesen Themen nicht überschattet werden – dafür ist Integration zu wichtig für die gesamte Gesellschaft.
Wer spricht? Wie hat sich deiner Erfahrung nach die Szene der "Integrationsarbeit" im Laufe der Jahre verändert? Wie beurteilst du in diesem Zusammenhang die Repräsentanz von Migrant:innen und wie das Verhältnis zwischen staatlichen Institutionen und (staatlich) geförderten NGOs? Ist die NGO-Szene deiner Meinung nach ausreichend kritisch und politisch oder, vielleicht auch auf Grund der Abhängigkeit von Fördergeldern, zu angepasst?
Die Szene ist viel breiter geworden. Waren es am Anfang, vor 22 Jahren (und teilweise davor), noch einige wenige „Platzhirsche“, die in der Integrationsarbeit aktiv waren, so hat sich die Zahl der Akteurinnen und Akteure mittlerweile sehr stark vergrößert. Das ist natürlich nicht zuletzt den Förderungen seitens des Landes Tirol zu verdanken, die das Wachsen diverser Initiativen ermöglicht bzw. erleichtert hat.
Hinsichtlich der Repräsentanz von Migrantinnen und Migranten ist jedoch noch Luft nach oben – wenn auch der alleinige Fokus auf diese Repräsentanz zu kurz greift, geht es doch beim Thema Integration sehr stark um Veränderungen in den gesellschaftlichen Strukturen und damit auch um die Mehrheitsgesellschaft. Dennoch bleibt es ein wichtiges Ziel, die verschiedensten Gruppen, darunter eben auch Menschen mit Migrationsgeschichte, in Entscheidungen miteinzubeziehen.
Was das Verhältnis zwischen staatlichen Einrichtungen und NGOs betrifft, so ist das naturgemäß sehr unterschiedlich. Man kann aber sagen, dass in Tirol dieses Verhältnis überwiegend entspannt und konstruktiv ist – geprägt von gegenseitigem Verständnis und Wertschätzung. Für Widerstand braucht es starre Haltungen und wie bereits erwähnt zeichnet sich der Diskussionsboden in Tirol durch gegenseitiges Verständnis und Wertschätzung aus. Das habe ich auch bei allen Mitgliedern der Tiroler Landesregierung, mit denen ich im Bereich der Integration zusammengearbeitet habe, erlebt. Eine konstruktive und wertschätzende Haltung ist kein guter Boden für aufgeregte Konflikte – das kann auf den ersten, unreflektierten Blick als „Angepasstheit“ der NGO-Szene missinterpretiert werden. Die Abhängigkeit von Fördergeldern sehe ich da nicht wirklich dämpfend, da diese – wie bereits erwähnt – Vielfalt und eine breite Aufstellung der Institutionen mitermöglicht.
In deiner Berufslaufbahn hast du mehrere zuständige Landesrätinnen und Landesräte erlebt, du warst konstant auf deinem Posten. Was hat dich - als Betriebswirt und ursprünglich Zuständiger für Jugendarbeit - in dem Bereich gehalten?
Betriebswirtschaft ist meine Ausbildung, in erster Linie sehe ich mich aber als interessierter Beobachter und konstruktiver Gestalter des Zusammenlebens in unserer Gesellschaft. Wirtschaft ist dabei kein unwesentlicher Faktor. Deshalb war ich dankbar, als ich mit dem Eintritt in das damalige Jugendreferat des Landes die Gelegenheit erhielt, aktiv an der Gestaltung des gesellschaftlichen Zusammenlebens mitzuwirken. Als ich dann 2001 gefragt wurde, ob ich Interesse am Thema Integration von Zugewanderten hätte: Das Thema erschien mit sehr interessant und war für mich eine Möglichkeit, eine neue Chance zu nutzen und Herausforderungen anzunehmen. Sehr schnell hat sich dann gezeigt, dass dieses Thema eine der zentralen Zukunftsfragen unserer Gesellschaft beinhaltet: Wie wollen wir in Zukunft zusammenleben und wie wollen wir alle Ressourcen für eine gute Entwicklung unserer Gesellschaft nutzbar machen? Diese Frage ist weiterhin zentral und ich habe es immer als Privileg gesehen, daran aktiv mitzuarbeiten. Diese Erkenntnis hilft dann auch über manche Täler hinweg.
Wir vom ZeMiT wünschen dir - wie viele andere aus der Szene - dass deine neue Lebensphase vollmundig und reich ist an Gesundheit und allem, was dir guttut. Viele wissen, dass die Familie und die Natur für dich an oberster Stelle stehen und, dass das Fahrrad und die Wanderschuhe wahrscheinlich schon vorbereitet sind. Planst du einen leisen Abschied oder große Abschiedsfeste?
Wenn wir Aktiven uns im September auf den - wie immer übervollen Oktober und November vorbereiten - wo können wir uns dich dann vorstellen?
Es wird wohl eher ein leiser Abschied, schließlich verlasse ich ja nicht das Land – und ich bleibe sicher ein aufmerksamer Beobachter und interessierter Bürger. Und im Herbst kann man mich sicher irgendwo auf einem Berggipfel (oder gerade keuchend beim Erklimmen desselben) vorstellen. Vielleicht bin ich aber auch ganz real als interessierter Teilnehmer bei einer der vielen Veranstaltungen anzutreffen.
Möchtest du noch etwas ergänzen?
Ich möchte mich bei allen Akteurinnen und Akteuren der Integrationsarbeit herzlich für die gute Zusammenarbeit, für offene Ohren und Herzen und für konstruktive Kritik bedanken. Ich habe es immer als Privileg in meinem Arbeitsfeld gesehen, eine sinnstiftende Tätigkeit ausüben und noch dazu überwiegend mit engagierten Menschen zusammenarbeiten zu können. Das hat mir viel Freude gemacht, hat manche schwierigen Situationen zu überwinden geholfen und das wird mir im Ruhestand schon ein bisschen fehlen. Solche gewinnbringenden Begegnungen werden sich in Zukunft ja nicht mehr „automatisch“ ergeben, sondern sie wollen geplant werden.
Ein veranstaltungsreiches Frühjahr und ein noch dichterer Herbst werden sicher zahlreiche Gelegenheiten für den konstruktiven Austausch über ein erfülltes und gleichberechtigtes Zusammenleben in Tirol bieten. Die Freude über deine Teilnahme wird bei allen Veranstalter:innen groß sein, so viel sei dir versichert!
Vielen Dank für das Interview. Wir vom ZeMiT wünschen dir viel Gesundheit, Freude und Mußestunden für dich und deine Familie und alles, was kommt.
Die Fragen stellte: Andrea Possenig-Moser
Hannes Gstir hinterlässt einen bleibend positiven Eindruck - die Szene streut ihm durchwegs Rosen
DAM - TAGUNG: FLUCHT INS ARCHIV
Migration, Flucht, Rassismen – Dokumentieren und Archivieren
Die Tagung widmet sich dem Verhältnis von Migration, Flucht und Rassismen zu Archiven als grundlegende historische Wissensspeicher. Gemeinsam mit Expert*innen, Aktivist*innen, Archivar*innen und Wissenschaftler*innen werden Fragen zur Grenzziehung zwischen diesen Phänomenen, zu der Quellenlage, zu aktuellen methodischen Ansätzen und Strategien zum Sichtbarmachen, Sammeln, Dokumentieren und Archivieren von Migration, Flucht und Rassismen diskutiert.
© F. Mahdlou 2015, AT-ZEMIT-DAM Sammlung-2-37-3-4
Während die Quellenlage zur Arbeitsmigration der 1960er und 1970er Jahre in entsprechenden Einrichtungen inzwischen relativ gut ist, stellen Phänomene wie Flucht und Rassismus noch immer weitestgehende Leerstellen in Archiven dar. Zudem überwiegt beim Sammeln von Migrations- und Fluchtgeschichte oft der Projekt- oder Ausstellungscharakter. Dies steht mit der nachhaltigen Bewahrung und Sicherung von Quellen in einem offensichtlichen Spannungsverhältnis.
Das Dokumentationsarchiv Migration Tirol – DAM, das 2016 aus einer Zusammenarbeit zwischen NGO, Universität und regionalen Kultureinrichtungen entstanden ist, lädt gemeinsam mit der Universität Innsbruck dazu ein, folgende Fragen gemeinsam mit Expert*innen, Aktivist*innen, Archivar*innen und Wissenschafter*innen aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten:
- Wo steht die Archivierung von Migration und Flucht gegenwärtig?
- Wo verlaufen die Trennlinien zwischen Migration und Flucht, inwiefern sind sie überhaupt relevant?
- Welche Erscheinungsformen von Rassismus gilt es in den Blick zu nehmen?
- Wo finden sich Spuren von Rassismus im Archiv und wie können diese sichtbar gemacht und bearbeitet werden?
- Welche Rolle haben Archive für das Sammeln und Dokumentieren von Migrations- und Fluchtgeschichten sowie Rassismus?
- Wie kann eine Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Initiativen und Aktivist*innen gelingen?
- Welche methodischen Ansätze wurden zu diesen Fragen entwickelt?
Die Tagung möchte Akteur*innen im Feld der Archivierung und Dokumentation von Migration, Flucht und Rassismus Raum geben, um sich zu vernetzen, aktuelle Fragestellungen zu diskutieren, zu beleuchten und weiterzuentwickeln.
Datum und Ort
30. - 31. März 2023
Großer Saal ÖGB Tirol, Südtiroler Platz 14 – 16, Innsbruck, 7. Stock
Kontakt und Anmeldung
Mag.a Christina Hollomey-Gasser
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Andreas-Hofer-Str. 46/1, 6020 Innsbruck, Tel.: (0)512 577170-12
Exkursionsbericht: Dokumentationsarchiv Migration Tirol: „Nicht nur Archiv, sondern auch Büro“
Studierende statteten dem DAM gemeinsam mit Univ.-Prof.in Andrea Zink vom Institut für Slawistik einen Besuch ab und hielten ihre Erfahrungen fest.
von Victoria Hutterer, Joe Metz, Nataliya Shcherbakova, Jasmin Traumüller
Eine unscheinbare Tür neben dem Eingang zum SPAR in der Andreas-Hofer-Straße 46 könnte Sie in eine unbekannte Welt führen. Hunderte Passanten machen dort ihre regelmäßigen Einkäufe und wissen doch nicht, wohin die Glastür führt. Die Aufschrift „ZeMiT“ verrät zunächst auch nur wenig. Wir lassen uns nicht irritieren, denn wir haben ein Gespräch mit Frau Tuğba Şababoğlu, MA (hinten, 2. v.r.), einer der beiden Leiterinnen des Archivs, vereinbart. Sie empfängt uns, eine Gruppe von Masterstudierenden der Universität Innsbruck zusammen mit Frau Prof. Andrea Zink, Leiterin des Instituts für Slawistik (hinten, rechts). Wir sind an der Fakultät für Betriebswirtschaft und an der philologisch-kulturwissenschaftlichen Fakultät immatrikuliert und wollten alle zu Beginn des Wintersemesters 22/23 etwas Neues kennenlernen. Unsere Wahl fiel auf den Kurs “Slawische Literaturen und Kulturen in der Praxis”, in dem wir verschiedene kulturelle Institutionen in Innsbruck besuchten und nun in das Dokumentationsarchiv Migration Tirol gelangt waren.
Victoria Hutterer, Joe Metz, Nataliya Shcherbakova, Jasmin Traumüller, Tugba Şababoğlu und Andrea Zink im DAM Foto: ZeMiT
In einem Büro, umzingelt von Regalen randvoll gefüllt mit säurefreien Archivschachteln und Pergaminhüllen, schenkt uns Frau Şababoğlu ihre Zeit. Von ihr erfahren wir, dass das Archivprojekt im Zuge einer einzigartigen Zusammenarbeit zwischen dem Trägerverein ZeMiT, dem Tiroler Landesarchiv, den Tiroler Landemuseen, dem Innsbrucker Stadtarchiv und der Universität Innsbruck realisiert wurde. 2012 wurde in Wien die erste Forderung nach einem solchen Archiv laut, in dem Schriften, Bilder und Gegenstände zum Thema Migration gesammelt und archiviert werden können. 2016 schließlich entsteht das DAM, Dokumentationsarchiv Migration Tirol. Der Trägerverein ZeMiT, Zentrum für MigrantInnen in Tirol, der 1985 als Beratungseinrichtung gegründet wurde und in den späteren Jahren seine Aufgabengebiete erweiterte, wurde zu diesem Zeitpunkt von Dr. Hetfleisch geleitet. Er hatte neben seiner offiziellen Tätigkeit bereits viele Unterlagen gesammelt. Mit diesen privaten Quellen und dem Bestand des ZeMiT wurde dann das neue Archiv gegründet. Man begann, Interviews zu führen und Objekte sowie Erinnerungsstücke zu sammeln.
Die beiden Leiterinnen – neben Frau Şababoğlu ist dies Frau Mag. Hollomey-Gasser – kümmern sich um die Archivierung und Betreuung der Nutzer:innen. Zu ihrem Arbeitsalltag gehören Öffentlichkeits- und Projektarbeit, Projektkonzipierung und -durchführung. Sie bereiten außerdem Tagungen und Ausstellungen vor, sammeln, Objekte und führen Interviews.
Dokumentationsarchiv Migration Tirol – Arbeitskleidung Slavko Ivanović, Herrburger & Rhomberg, 1969, Foto Plattner
Das Archiv ist auf Personen angewiesen, die ihre Objekte und Dokumente in guten Händen wissen und diese der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen wollen. Da die Materialien meist personenbezogene Daten enthalten, unterliegen sie einer Sperrfrist und sind zunächst nicht frei zugänglich. Die Interessent:innen müssen im Übrigen zur Absicherung des Archivs ein ausführliches Benutzer:innenblatt ausfüllen. Nur so erhalten sie Zugriff auf die Materialien.
Solche Schenkungen (z.B.: von Dokumenten) kommen im Normalfall von Fachstellen für migrantische Vereine, Initiativen und Einzelpersonen. Dazu gehört die Arbeitskleidung eines jugoslawischen Migranten, der in den 60er Jahren in der Textilfirma Herrburger & Rhomberg tätig war und seine Arbeitskleidung all die Jahre sorgfältig aufbewahrt hat. Er gab sie schließlich an seine Tochter weiter, die heute Beraterin am ZeMiT ist.
Die Arbeit beginnt mit dem Bewahren der Stücke: Entfernen von Heftklammern, Klebestreifen und Plastik. Erstmal heißt es, sich einen Überblick über das Erhaltene zu verschaffen, um eine grobe Struktur erstellen zu können. Danach gehen die Archivarinnen auf die Einzelblatt-Ebene über. Das bedeutet, sich jedes einzelne Blatt genauer anzuschauen.
Finanziert wird das DAM von der Kulturabteilung des Landes Tirols, es hat außerdem einen wissenschaftlichen Beirat. Die Anlaufstelle für Menschen mit im Ausland erworbenen Qualifikationen (AST) – eine weitere Organisationseinheit des ZeMiT – wird dagegen vom Arbeitsministerium finanziert, der Projektbereich selbst von der Integrationsabteilung (Gesellschaft und Arbeit) des Landes Tirol. Die Nutzer:innen des Archivs sind hauptsächlich Studierende der Universität Innsbruck und Wien, aber auch Kulturschaffende aus Tirol, die eigene Publikationen vorbereiten. Vor Kurzem ist beispielsweise das Buch “Von Zugewanderten, Weggegangenen und Dagebliebenen – Beiträge zur Migrationsgeschichte Kufsteins 1930-2000” erschienen, das von Mitarbeiter:innen des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck herausgegeben wurde. Auch Wissenschaftler:innen und Personen, die Ausstellungen vorbereiten oder Projekte bearbeiten, kontaktieren das Archiv. Alle Interessent:innen sind willkommen und werden bei der Recherche von den beiden Leiterinnen unterstützt.. Sie gelangen, wie wir auch, in ein Büro, das beim näheren Hinsehen das Archiv selbst ist: Unser Foto bildet die Räumlichkeit ab. Häufig wird beim Archiv angefragt, ob Quellen zu einem bestimmten Thema vorhanden sind. Die Stadt Innsbruck beispielsweise gab die Entwicklung einer Handy-App in Auftrag, die es Nutzer:innen ermöglicht, anhand von Stadtspaziergängen mehr über die Geschichte des Innsbrucker Stadtteils St. Nikolaus zu erfahren. Zu diesem Zweck fragte man beim DAM, ob Materialien zur Wohnsituation von Migrant:innen in St. Nikolaus in den 80er oder 90er Jahren vorhanden seien. Damit dieser Prozess in Zukunft vereinfacht wird, arbeiten die beiden Leiterinnen momentan am Aufbau eines Online-Archivs. Schon jetzt ist es teilweise auf der Webseite des DAM zugänglich. Derzeit sind drei der insgesamt 15 Schenkungen, über die das Archiv verfügt, auf diesem Wege zugänglich.
Dokumentationsarchiv Migration Tirol – Protestbrief an den Innsbrucker Bürgermeister Romuald Niescher aus dem Jahr 1993
Wir bekommen z. B. Einsicht in einen Protestbrief des ehemals jugoslawischen, nun serbischen Vereins „Bratstvo“, der seit 1971 als Kulturverein besteht. Dieser Verein bot eine Anlaufstelle für Gastarbeiter:innen, die aus Jugoslawien nach Österreich gekommen waren. In dem Brief von 1993 an den damaligen Bürgermeister von Innsbruck beschwert sich der Vereinsvorsitzende darüber, dass die jährlichen, schon zum 14. Mal geplanten Arbeitersportspiele, angesichts der Kroatien- und Bosnien-Kriege vom Magistrat absagt wurden. Das Gespräch mit Frau Şababoğlu gewährte uns einen spannenden Einblick in eine für uns bislang kaum wahrgenommene Arbeitswelt und zeigte uns zudem die Notwendigkeit des ZeMiT auf. Als außenstehende Personen war uns nicht bewusst, wie wichtig es ist, Migrant:innen in ihren Fähigkeiten zu unterstützen und ihre Ausbildungen anzuerkennen. Nur so können sie gemäß ihrer Qualifikation eine Arbeit finden und auch ausüben.
Recht am Freitag: Neues Bildungsangebot im ZeMiT
Aus der Praxis - Für die Praxis: Einmal monatlich bietet das ZeMiT eine Informationsveranstaltung und Diskussionsrunde zum Fremdenrecht, geleitet von Mirjana Stojaković, an.
Die Veranstaltung richtet sich an Mitarbeiter:innen sozialer Einrichtungen, gerne können Fallbeispiele aus der Praxis eingebracht werden.
24. März 2023: Aufenthaltstitel
21. April 2023: Familienzusammenführung
26. Mai 2023: Scheidung und ihre Konsequenzen im Aufenthaltsrecht
Kosten: 20 € pro TN und Termin
Anmeldung unter: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Ort: Andreas Hofer Straße 46, 6020 Innsbruck
Neu in der Bibliothek für Integration und Migration
Gurdurn Biffl: Migration & Arbeit, unter Mitarbeit von Peter Huber, Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 2023.
Im aktuellen Band „Migration & Arbeit“ der Buchreihe „Migration &“ werden wissenschaftliche Debatten und Forschungserkenntnisse zu Migration und Arbeit in Österreich im internationalen Vergleich beleuchtet.
Neben Fragen zu den Wirkungen von Migrationsbewegungen auf den Arbeitsmarkt beschäftigt sich der Band mit grundlegenden Themenschwerpunkten wie u. a. Veränderung der Berufslandschaft durch Migration, Beschäftigungspolitik und Migration sowie gesundheitliche Arbeitsbelastungen und Diskriminierung am Arbeitsmarkt. Dabei geht die Autorin ebenso auf Arbeitskräftemobilität in der EU ein, thematisiert selbstständige Erwerbstätigkeit in der privaten 24-Stunden Pflege und stellt rechtliche Rahmenbedingungen dar.
Anhand der Forschungsergebnisse entworfene Szenarien ermöglichen abschließend einen Ausblick auf mögliche zukünftige Entwicklungen der Arbeitsmigration.
Zur Reihe Migration &
„Migration & Arbeit“ ist nach „Migration & Staatsbürgerschaft“ und „Migration & Religion“ der dritte Band der Publikationsreihe Migration &, die von Rainer Bauböck und Wiebke Sievers von der Kommission für Migration & Integration (KMI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) herausgegeben wird.
Kurzbeschreibung der Autorin
Die Ökonomin Gudrun Biffl beschäftigt sich in ihrer Forschung mit den Schwerpunkten Arbeitsmarkt, Bildung, Migration, Gender und Institutionenwandel. Lange Zeit war sie als Wirtschaftsforscherin am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) tätig und gründete 2017 das Department für Migration und Globalisierung an der Donau-Universität Krems. In den Jahren 2010 bis 2015 war sie Dekanin der Fakultät Wirtschaft und Globalisierung an der Donau Universität Krems. Die Autorin des Buches „Migration & Arbeit“ ist seit 1976 Mitglied der Expertengruppe für Migration bei der OECD, seit 2010 des Expertenrates für Integration und des Statistikrates von Statistik Austria.
Ausleihe BIM
Diese und weitere Bücher stehen Leser*innen der BIM zur Ausleihe zur Verfügung. Die Ausleihe ist kostenlos und die Dauer beträgt 12 Wochen. Mehr Informationen erhalten Sie hier oder per E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
AKTUELLE TERMINE
21. März 2023: Internationaler Tag gegen Rassismus
Demonstration gemeinsamer Anliegen
Öffentliches Vernetzungstreffen für alle Mitarbeiter:innen sozialpolitischer und sozialpädagogischer Einrichtungen
und Interessierte
Plakat
21.März 2023: Internationaler Tag gegen Rassismus
ORF-Radio Tirol: Hallo Tirol um 13:00
mit Gerhard Hetfleisch (Mitglied des ARAtirol-Beirates) zu Gast im Studio
Freitag, 24. April 2023, 14:00 - 16:00
Recht am Freitag
Start des neuen Bildungsangebotes im ZeMiT
Mehr Information
30. - 31. März 2023
DAM - TAGUNG: FLUCHT INS ARCHIV
Migration, Flucht, Rassismen – Dokumentieren und Archivieren
Großer Saal ÖGB Tirol, Südtiroler Platz 14 – 16, Innsbruck, 7. Stock
Kontakt und Anmeldung: Mag.a Christina Hollomey-Gasser, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Andreas-Hofer-Str. 46/1, 6020 Innsbruck, Tel.: (0)512 577170-12
Nähere Infos zum Programm
Mittwoch, 26. April 2023, 09:00-17:00 Uhr
Begegnen und Befremden
Ein Reflexionsangebot für Engagierte in der Arbeit mit geflüchteten Menschen.
Haus der Begegnung, Rennweg 12, 6020 Innsbruck
Zur Veranstaltung
Donnerstag, 27. April 2023, um 17:30 Uhr
Innsbruck trifft ... Stadtforscherin Prof. in Dr. in Felicitas Hillmann.
Plenarsaal der Stadt Innsbruck
Anmeldung via E-Mail bei: Stadtmagistrat Innsbruck, Stadtplanung,
Stadtentwicklung und Integration, E-Mail: Nähere Informationen
STELLENAUSSCHREIBUNGEN
- Ehrenamt: Plattform Asyl sucht Lernpat:innen
- Ehrenamt: Frauen aus allen Ländern sucht Hilfe bei Lernnachmittagen für geflüchtete Frauen
- z6 sucht geringfügige Lernbertreuung für Deutschlernhilfe
- Psychosoziales Zentrum Oberland sucht Psychosoziale Berater*innen, Teilzeit
- Beratungsmitarbeiter*in in der Gewaltprävention, Teilzeit, Wörgl
- Stadtmagistrat Innsbruck: Zahlreiche freie Stellen sind derzeit im Stadtmagistrat Innsbruck ausgeschrieben, von der Grünanlagenpflege über Verwaltung und Kinderbetreuung.
All jene, die vielleicht denken "Bei der Stadt bekomme ich ohnehin keine Anstellung" - sind herzlich eingeladen, sich zu bewerben und ggf. überraschen zu lassen. - Die Tiroler Arbeitsmarktförderungsgesellschaft mbH (amg-tirol) sucht ehest möglich eine*n
Mitarbeiter*in für den Bereich Assistenz für die Arbeitsstiftungen 30 bis 35 Wochenstunden und
Mitarbeiter*in für die “Koordinierungsstelle AusBildung bis 18” mit Dienstort Innsbruck - Die Tiroler Arbeitsmarktförderungsgesellschaft mbH (amg-tirol) sucht ehest möglich eine*n
Mitarbeiter*in für Empfang und Assistenz mit Dienstort Innsbruck - Persönliche Assistenz - Aktuelle Stellenausschreibungen des SLI
- Aktuelle Stellenausschreibungen SOS Kinderdorf
- Aktuell: Freie Stellen bei den TSD
- Aktuell: Freie Stellen bei den ISD
- Aktuelle Jobausschreibungen der Lebenshilfe Tirol
- Aktuelle Jobausschreibungen der Caritas Tirol
- Aktuelle Jobausschreibungen des ÖIF
- und viele weitere auf der ÖH-Jobbörse
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Leitende Redakteurin: Mag.a Andrea Moser BA Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Redaktion und Lektorat: Dr.in Miriam Hill, Mag.a Michaela Nindl, Tuğba Şababoğlu MA, Mag.a Christina Hollomey-Gasser
Herausgeber: ZeMiT – Zentrum für Migrantinnen und Migranten in Tirol, Andreas-Hofer-Str. 46/1, 6020 Innsbruck; vertreten durch Mirjana Stojaković, GFin ZeMiT
www.imz-tirol.at
Das IMZ ist ein gemeinsames Projekt von Land Tirol/Abteilung Gesellschaft und Arbeit - Integration und ZeMiT.