Wo man singt, da lass dich ruhig nieder…?

Editorial: Andrea Possenig-Moser

Die Stimmung war gut, das Festzelt gerammelt voll, die Zungen gelockert und die Landjugend voll in ihrem Element. Beim Song von Gigi D’Agostino sind die letzten Schranken gefallen und der Großteil der Jugendlichen stimmte lauthals in die rassistische Umdichtung an. Wer sich über die menschenfeindliche Inszenierung beschwerte, flog raus.

Der Landjugendobmann Christoph Birnbacher verurteilte die Vorfälle und verspricht „Sensibilisierungsarbeit für Funktionäre und Mitglieder“. Aber: Dieser Stachel sitzt tief und der Rechtsruck in der Politik und Gesellschaft verschiebt die Grenzen des Sagbaren und macht Menschenverachtung erschreckend salonfähig. ARAtirol fordert die Politik auf, hier mit aller Klarheit für Menschenwürde und Respekt aufzutreten und Vereine, die mit Steuergeldern gefördert werden auch entsprechend unter die Lupe zu nehmen.  

…böse Menschen kennen viele Lieder!
Musik bringt die Menschen zusammen, im Guten, wie im Schlechten. Sie fördert die Gemeinschaft und Vergemeinschaftung. Durch Rhythmus, erhabene Stimmung, Gänsehaut und Bewegung schlagen die Herzen einer Masse gerne fröhlich im Takt und schnell stehen einem gefeierten „Wir“ abgewertete „Andere“ gegenüber.  So geht Polarisierung. Musik ist ein ideales Schmiermittel für politische Inhalte aller Art: Wir kennen Revolutionslieder ebenso wie kriegstreibende Gesänge. Im Nationalsozialismus wurde die  gezielte Gestaltung und Instrumentalisierung einer Massenkultur zur Königsdisziplin um Feindbilder und die „arische Überlegenheit“ zu verstärken. Je einfacher die Botschaft, desto größer die Wirkung.

Der insgesamte Rechtsruck in der Gesellschaft holt die Inszenierung rassistischer Gemeinschaftseuphorie aus den Buden der Burschenschaften in das Faschingstreiben und die Festzelte. Uderns ist kein Einzelfall. Die „Normalisierung“ von menschenverachtenden Parolen schreitet voran und immer öfter zeigen sich bei verschiedenen Anlässen Inszenierungen von Rassismus und Bilder dieser Ideologie, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts ihre zerstörerischen Kreise zieht: „Wir sind eine einheitliche Sprach-, Werte- und Kulturgemeinschaft und anderen überlegen.“ Die Volkskultur bot sich schon damals als idealer Träger dieser Überzeugungen an, brachte die notwendigen Zutaten der Unterhaltung und Gemeinschaft mit und wurde im Zuge des „Fremdenverkehrs“ außerdem zu einem wichtigen wirtschaftlichen und dementsprechend geförderten Faktor. Bemerkenswert ist, dass rassistisch gelagerte Vorfälle aktuell ausgerechnet am touristischen Erfolg in Tirol sägen.

Es darf also nicht verwundern, dass es nach wie vor auch volkskulturelle Bereiche sind, in der rassistische Inszenierungen Platz und Zustimmung finden. Das Bewusstsein über die politische Inszenierung und Verwicklung der Volkskultur mit rechter Ideologie ist viel zu wenig vorhanden.  Aufarbeitung und Sensibilisierung sind hier auf vielen Ebenen gefragt und sollten dazu beitragen, die positiven Aspekte der Volkskultur freizulegen und zu fördern.  Ein aufmerksamer und kritischer Blick auf Seiten von Funktionären und Fördergebern ist dafür eine notwendige Bedingung. Denn: Ein Fest ist gut, wenn alle feiern.

Im 18. Jahrhundert erlebte Johann Gottfried Seume die Welt vielleicht in einem solch romantischen Sinne und konnte schwärmen

Wo man singet, lass dich ruhig nieder,
Ohne Furcht, was man im Lande glaubt;
Wo man singet, wird kein Mensch beraubt;
Bösewichter haben keine Lieder.“

Der Volksmund machte daraus den bekannten Sager „Wo man singt, da lass dich ruhig nieder, böse Menschen kennen keine Lieder.“, und hat sich wohl selten so geirrt. Anlässlich des europaweiten Rechtsrucks und des aktuellen Vorfalls in Uderns sollten wir darauf hoffen, dass wache und kritische Stimmen die Logik und Gefahren der Massenunterhaltung durchschauen, sich einbringen und gehört werden. Kreisky’s „Lernen’s a bissl Geschichte“ und Ovids „Wehret den Anfängen“ bieten dafür einen guten Leitfaden.

 

 

 

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