Blick ins Archiv: Vom Wahlsonntag für „ausländische“ Mitbürger*innen 1994 zur Pass-Egal-Wahl 2024
Zwischen 1989 und 1994 organisierte die Ausländerberatungsstelle Tirol, das heutige ZeMiT, in wechselnden Koalitionen zahlreiche Aktionen zur Forderung des Wahlrechts für „ausländische Mitbürger*innen“. Diese reichten von einer Kultur- und Informationskarawane ARARAT über einen Trauerzug (beides 1989) bis hin zu einem gemeinsamen „Wahlsonntag“ inklusive Wahlurne für ausländische Mitbürger*innen, der am 24.4.1994 parallel zur Gemeinderatswahl in Innsbruck abgehalten wurde.
Unter dem Motto „100% Leistung - 50% Rechte. Für soziale Gleichstellung und kommunales Wahlrecht“ wurde auf das bestehende Ungleichgewicht zwischen Menschen mit und ohne österreichischen Pass aufmerksam gemacht: Während ausländische Arbeitnehmer*innen wie Österreicher*innen Steuern zahlten, seien sie von grundlegenden sozialen Rechten wie dem Anspruch auf Notstandshilfe, Sozialhilfe und Mietzinsbeihilfe sowie von politischer Mitbestimmung ausgeschlossen, unabhängig davon, wie lange sie schon in Österreich leben.
Organisiert wurde die Kundgebung von der Plattform für Ausländer- und Ausländerinnenrechte, einem Zusammenschluss von Vertreter*innen migrantischer Selbstorganisationen, Parteien und NGOs. Insbesondere der jugoslawische Verein Bratstvo und der türkische Arbeiterverein ATIGF beteiligten sich aktiv an den Wahlrechtsaktionen. Auf dem Foto sind u.a. Vertreter*innen des türkischen Arbeitervereins zu sehen. Bei der anschließenden Stellungnahme von Politiker*innen fand sich auch der Wahlgewinner Herwig Van Staa ein, der jedoch ein kommunales Wahlrecht aus Sorge „vor größerer Polarisierung“ ablehnte.
Während kleine Erfolge, wie beispielsweise die Zuerkennung des passiven Wahlrechts bei Betriebsratswahlen 2006, erzielt wurden, blieb die Forderung nach einem kommunalen Wahlrecht für Nicht-EU-Bürger*innen weiterhin unerfüllt. Rainer Bauböck, renommierter Wissenschaftler im Bereich Staatsbürgerschaft und politische Partizipation, bezeichnete dies bereits im Jahr 2000 als „demokratisch nicht zu rechtfertigenden Ausschluss“ (Bauböck, Liegel, 2000).
Aktuell ist es die NGO SOS Mitmensch, die im Rahmen der „Pass Egal Wahl“ die jahrzehntealte Forderung nach politischer Mitbestimmung für nicht-österreichische Staatsbürger*innen fortführt.
Eine Wahlkabine wird diesmal auch im ZeMiT zu finden sein - come, vote!
Diese und weitere Archivzeugnisse zum Thema Wahlrecht findet ihr im Online-Archiv des DAM
Abbildungsnachweise:
Foto 1: Aktion „Wahlsonntag“ auch für ausländische Mitbürger*innen (24.4.1994), Mann hält Plakat mit der Forderung „Demokratie heißt auch: gleiches Wahlrecht für alle“ (Signatur: AT-ZEMIT-DAM ZEMIT-1-8-2)
Foto 2: Aktion „Wahlsonntag“ auch für ausländische Mitbürger*innen (24.4.1994), Mann wirft Wahlzettel in Wahlurne, Mustafa Korkmaz zeigt auf ihn (Signatur: AT-ZEMIT-DAM ZEMIT-1-8-2)