#2 Junge Forschung mit#teilen: Nadia Heiss zu Diskriminierungserfahrungen "Für mich war das normal"

Für eine erfolgreiche Integration von Menschen mit Migrationshintergrund in die Gesellschaft ist die Teilhabe am Arbeitsmarkt grundlegend. Aus der Arbeitslosenstatistik geht jedoch hervor, dass Menschen aus den sogenannten Fluchtherkunftsländern – die häufigsten Nationalitäten jener Personen, welche einen Asylantrag gestellt haben – die Statistik anführen1. Folgt dem Antrag ein positiver Bescheid, so geht der Aufenthaltstitel und das Recht auf Asyl oder subsidiären Schutz, welche beide unter dem Begriff internationaler Schutzstatus zusammengefasst werden, mit einher. Zudem führt dieser Bescheid zu einem freien Arbeitsmarktzugang. Dennoch kann der Unterschied zur Bevölkerung ohne Migrationshintergrund am Arbeitsmarkt nicht vollständig erklärt werden, weshalb Diskriminierung als Begründung offenbleibt2. Diskriminierung wird dabei als jegliches Verhalten definiert, das auf Unterscheidungen basiert, die nichts mit den individuellen Fähigkeiten oder dem Verhalten einer Person zu tun haben3. Ziel meiner Masterarbeit war es daher, eventuell bestehende subjektive Diskriminierungserfahrungen sowie objektive Diskriminierung von Menschen mit internationalem Schutzstatus beim Arbeitseinstieg in Tirol, als auch Geschlechterunterschiede in diesem Zusammenhang aufzuzeigen.

Erfahrung wird durch die Wahrnehmung eine Person konstruiert, aufgrund vergangener Erfahrungen individuell interpretiert und folglich beurteilt. Diskriminierung kann daher als legitime Un-Gleichbehandlung und somit als nicht diskriminierend wahrgenommen, oder aber als subjektive Diskriminierungserfahrung eingestuft werden4. Dem gegenüber steht die objektive Diskriminierung, welche unabhängig von der Wahrnehmung als auch dem Urteil der diskriminierten Person ist5 und daher unbemerkte Formen von Diskriminierung miteinschließt. Objektive Diskriminierung auf institutioneller und struktureller Ebene zu erkennen ist zudem hauptsächlich anhand ihrer Effekte möglich6.

Die institutionelle Diskriminierung als eine der drei Diskriminierungsebenen betrifft das Handeln von Organisationen und deren legitime Ungleichbehandlung aufgrund von Gesetzen und Vorschriften8. Sie kann direkt, durch bewusste Handlungen, oder indirekt, durch ungewollte Effekte, erfolgen7 und ist gerade deshalt schwer zu erkennen. Statistische Ergebnisse jedoch zeigen oft (vermeintliche) Zusammenhänge, die auf Diskriminierung hinweisen können8. Strukturelle Diskriminierung hingegen resultiert aus gesellschaftlichen Strukturen und Mechanismen, die unabhängig von individuellen oder institutionellen Handlungen bestehen9. Diese Ebene befasst sich mit gesellschaftlichen Normen und den Unterschieden im Verständnis von Gerechtigkeit8. Strukturelle Diskriminierung reproduziert sich durch bestehende Vorurteile und gesellschaftliche Normen selbst und kann zur Legitimation und Normalisierung von Diskriminierung auf allen drei Ebenen führen10. Die individuelle Diskriminierung findet auf zwischenmenschlicher Ebene statt und kann bewusst oder unbewusst11 und somit auch ohne vorurteilsvolle Einstellung stattfinden12.

Neben den Ebenen an Diskriminierung wird rechtlich zwischen zwei Arten unterschieden, der direkten (unmittelbaren) und indirekten (mittelbaren) Diskriminierung. Laut EU - Richtlinie 2000/43/EG Art 2 (1a) „liegt eine unmittelbare Diskriminierung vor, wenn eine Person aufgrund ihrer Rasse [sic] oder ethnischen Herkunft in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung als eine andere Person erfährt […]“. Die indirekte Diskriminierung hingegen bezieht sich auf vermeintlich diskriminierungsfreie Regelungen, welche jedoch für bestimmte Gruppen diskriminierende Effekte nach sich ziehen. So kommt es zu einer Benachteiligung für bestimmte Personen, auch wenn die Voraussetzungen gerecht erscheinen (9).

Um die Forschungsfrage nach bestehender Diskriminierung und die dazugehörigen Unterfragen zu bearbeiten, wurden Personen mit internationalem Schutzstatus, als auch Personen mit Expertise von Organisationen in Innsbruck befragt. Die Auswertung ergab folgende Antworten.

Welche subjektiven Diskriminierungserfahrungen liegen vor?

Bildung scheint eine wesentliche Rolle bei der Wahrnehmung von Diskriminierung zu spielen. Jedoch ist das Wissen darüber essentieller als der jeweilige Bildungsabschluss. Die Aufenthaltsdauer im Immigrationsland hingegen beeinflusst die Anzahl und Art zwischenmenschlichen Kontakte und die Einstellung zu Diskriminierung. Die Überzeugung von mangelnder Gleichberechtigung führt eher zu diskriminierenden Erfahrungen als Ängstlichkeit oder Pessimismus. Auch Personen mit Expertise berichten von Diskriminierungerfahrungen von Menschen mit internationalem Schutzstatus beim Arbeitseinstieg. Es scheint als hätten diese im Unterschied zu Betroffenen Diskriminierung in vielen Fällen erkannt. Diskriminierungserfahrung ist somit Voraussetzung für eine Meldung bei zuständigen Organisationen, jedoch nicht zur Feststellung von Diskriminierung durch die beratenden Organisationen. Zur Diskriminierungserfahrung im Zuge der Beratung für den Arbeitseinstieg sowie zur Meldung wurde ein eigener Exkurs angeführt.

Welche objektiven Diskriminierungen liegen vor?

Auf institutioneller Ebene ließ sich Diskriminierung im Zusammenhang mit dem Asylverfahren und dem Arbeitsmarktzugang, der Reihung der Asylwerbenden am Arbeitsmarkt, dem obligatorischem Arbeitseinstieg, den Sprachkursen, der Anerkennung und Möglichkeit einer Ausbildung, der Unterstützung durch Institutionen, dem Umgang mit Diskriminierung durch Arbeitgebende, der statistischen Erhebung von Diskriminierung durch beratende Institutionen sowie mit der Täter-Opfer- Umkehr finden. Aufgrund institutioneller Regelungen und Gesetzen scheint es zu Benachteiligungen aufgrund von Aufenthaltstitel und Sprache sowie Geschlecht zu kommen. Bestimmte institutionelle Regelungen scheinen weiterhin unhinterfragt als Normalität zu gelten. Auf struktureller Ebene finden sich zudem diskriminierende Einstellungen und Vorurteile, Legitimation von Diskriminierung aufgrund der Wirtschaft, als auch diskriminierende Repräsentation von Menschen mit Fluchthintergrund.

Bestehen geschlechtsspezifische Unterschiede hinsichtlich Diskriminierungserfahrung?

In der Erfahrung von subjektiver Diskriminierung konnten keine geschlechtsspezifischen Unterschiede festgestellt werden. Auf institutioneller Ebene hingegen kommt es besonders für Frauen* mit Fluchthintergrund zu Benachteiligung aufgrund der Sprache, Bildung, Religion, sozialer Herkunft sowie zu Benachteiligung aufgrund des Geschlechts durch die Gleichbehandlung mit männlichen* Geflüchteten. Für Frauen* mit Fluchthintergrund sei es somit generell schwerer eine Arbeitsstelle zu finden, auch im Vergleich zu Männern* mit Fluchthintergrund. Für Frauen* mit internationalem Schutzstatus kommen diese zu den generellen Herausforderungen bzw. Diskriminierungen wie dem Gender-Pay-Gap oder Carearbeit, welche für Frauen* generell bestehen, noch hinzu.

Fazit

Ungeachtet des Bereichs und der Bezahlung scheint es Personen mit internationalem Schutzstatus in Tirol nicht schwer zu fallen eine Arbeit zu finden. Viele Personen befinden sich jedoch weder in deren angestammtem Bereich noch in einem Arbeitsverhältnis, welches ihrem Ausbildungsniveau entspricht. Die Präsenz der Personen mit Schutzstatus am Arbeitsmarkt ist somit zwar gegeben, jedoch ist auch nach mehreren Jahren keine Arbeitsmarktintegration vorhanden. Der Personengruppe scheinen nicht dieselben Chancen wie der Bevölkerung ohne Fluchthintergrund zuzukommen. Die Unterschiede am Arbeitsmarkt werden versucht anhand von unzureichenden Sprachkenntnissen, Berufserfahrung, Qualifikation sowie Arbeitsmotivation, welche beim Arbeitseinstieg durchaus wichtig erscheinen, zu erklären. Besonders Sprache und Aufenthaltstitel als Kategorien werden als legitime Unterscheidung als auch Benachteiligung betrachtet.

Aufgrund der bestehenden Vorurteile, Kategorisierungen, Ausgrenzung, Hierarchisierung, Ungleichbehandlung und der damit einhergehenden reellen Effekte, kann davon ausgegangen werden, dass Diskriminierung in Tirol ein gesamtgesellschaftliches Problem ist. Es wird deutlich, wie Diskriminierung reproduziert wird. Neben den negativen Folgen für die psychische Gesundheit als auch die Integration scheint ein sozialer Aufstieg wie auch das Erlangen von finanziellen Mitteln erschwert. Gleichzeitig werden dadurch Privilegien wie ein effektiver Zugang zum Arbeitsmarkt oder zu Bildung sowie der Machterhalt der dominanten Gruppe und deren Mitgliedern erhalten. Der Fokus in Bezug auf Personen mit internationalem Schutzstatus scheint weder auf der generellen Integration, noch auf der Arbeitsmarktintegration zu liegen, sondern einen wirtschaftlichen Nutzen zu verfolgen.

Anzumerken bleibt, dass in diesem kurzen Einblick in die Arbeit lediglich auf einen Ausschnitt der theoretischen Auseinandersetzung mit Diskriminierung und die Ergebnisse eingegangen werden konnte. In der Arbeit finden sich hingegen die rechtlichen Rahmenbedingungen, welche 2023 aktuell waren, deren Vergleich zum Diskriminierungsverbot, eine ausgedehnte Auseinandersetzung mit Diskriminierung und Darstellung der Ergebnisse sowie eine Reihe an sozial- als auch wirtschaftspolitischen Implikationen auf individueller, institutioneller und struktureller Ebene. Die gesamte Arbeit ist auf der IMZ-Studienseite und in der Universitäts- und Landesbibliothek Tirol unter dem eingangs angeführten Titels bzw. unter folgendem Link frei einsehbar.


Quellen:

1 Scheller, F. (2015). Gelegenheitsstrukturen, Kontakte, Arbeitsmarktintegration. Springer Fachmedien Wiesbaden. doi.org/10.1007/978-3-658-07298-8;

Klimont, J., Kytir, J., Marik-Lebeck, S., Pohl, P., Schuster, J., Wisbauer, A. & Wiedenhofer-Galik, A. (2022). Migration und Integration: Zahlen Daten Indikatoren 2022. Statistisches Jahrbuch.
chrome-extension://efaidnbmnnnibpcajpcglclefindmkaj/https://
www.integrationsfonds.at/fileadmin/user_upload/MIG_INT_2022_OEIF.pdf

2 Hofer, H., Titelbach, G., Weichselbaumer, D. & Winter-Ebmer, R. (2013). Diskriminierung von MigrantInnen am österreichischen Arbeitsmarkt: Endbericht.
core.ac.uk/download/212121673.pdf,

Esser, H. (2006). Sprache und Integration: Konzeptionelle Grundlagen und empirische Zusammenhänge [Working Paper Nr: 7]. Kommission für Migrations- und Integrationsforschung.
www.oeaw.ac.at/fileadmin/kommissionen/KMI/Dokumente/Working_Papers/kmi_WP7.pdf

Scherr, A. (2020). Diskriminierung und Diskriminierungskritik: eine problemsoziologische Analyse.Soziale Probleme, 31(1-2), 83–102. doi.org/10.1007/s41059-020-00076-9

3 Scherr, A. (2017). Soziologische Diskriminierungsforschung. In A. Scherr, A. El-Mafaalani & G.

Yüksel (Hrsg.), Handbuch Diskriminierung (S. 39–58). Springer Fachmedien Wiesbaden.

4 Hansen, N. (2009). Die Verarbeitung von Diskriminierung. In A. Beelmann & K. Jonas (Hrsg.),Diskriminierung und Toleranz: Psychologische Grundlagen und Anwendungsperspektiven (1.Aufl., S. 155–173). VS Verl. für Sozialwiss.

5 Scherr, A. & Breit, H. (2020). Diskriminierung, Anerkennung und der Sinn für die eigene soziale Position: Wie Diskriminierungserfahrungen Bildungsprozesse und Lebenschancen beeinflussen (S. 37) (1. Auflage). Beltz Juventa.

6 El-Mafaalani, A., Waleciak, J. & Weitzel, G. (2017). Tatsächliche, messbare und subjektiv wahrgenommene Diskriminierung. In A. Scherr, A. El-Mafaalani & G. Yüksel (Hrsg.), Handbuch Diskriminierung (S. 173–190). Springer Fachmedien Wiesbaden.

7 Gomolla, M. (2010). Institutionelle Diskriminierung: Neue Zugänge zu einem alten Problem. In U.Hormel & A. Scherr (Hrsg.), Diskriminierung: Grundlagen und Forschungsergebnisse (1. Aufl.,S. 61–93). VS Verl. f. Sozialwissenschaften

8 Hormel, U. (2007). Diskriminierung in der Einwanderungsgesellschaft: Begründungsprobleme pädagogischer Strategien und Konzepte (1. Aufl.). VS Verl. f. Sozialwissenschaften.

9 Bielefeldt, H. (2010). Das Diskriminierungsverbot als Menschenrechtsprinzip. In U. Hormel & A. Scherr (Hrsg.), Diskriminierung: Grundlagen und Forschungsergebnisse (1. Aufl., S. 21–34). VS Verl. f. Sozialwissenschaften.

10 Groenheim, H. von. (2018). Subjektivierung in Prozessen struktureller Diskriminierung am Beispiel der Fluchtmigration. In R. Ceylan, M. Ottersbach & P. Wiedemann (Hrsg.), Neue Mobilitäts- und Migrationsprozesse und sozialräumliche Segregation (S. 223–242). Springer FachmedienWiesbaden.

11 Gomolla, M. (2016). Diskriminierung. In P. Mecheril (Hrsg.), Beltz Handbuch. Handbuch Migrationspädagogik (S. 73–89). Beltz.

12 Merton, R. K. (1995). Soziologische Theorie und soziale Struktur. Merton. Soziologische Theorie und soziale Struktur.
De Gruyter. www.degruyter.com/isbn/9783110871791 doi.org/10.1515/9783110871791;

Henkel, K. E., Dovidio, J. F. & Gaertner, S. L. (2006). Institutional Discrimination, Individual Racism and Hurricane Katrina. Analyses of Social Issues and Public Policy, 6(1), 99–124.
doi.org/10.1111/j.1530-2415.2006.00106.x


IMZ Newsletter Anmeldung

Mit einer kostenlosen Newsletter-Anmeldung erhalten Sie regelmäßig die neuesten Infos und Angebote direkt per E-Mail. Schnell, einfach und jederzeit abbestellbar.