Ein persönlicher Blick auf das Buch „Gegen die neue Härte“ von Judith Kohlenberger
von Mag. Maryam Singh
Als Flüchtlingskind in den 1990er-Jahren, auf der Flucht aus Afghanistan nach Österreich, war mein Aufwachsen in Wien von einem ständigen Gefühl der Rechtfertigung geprägt: Warum bin ich hier? Warum gehöre ich dazu? Es war eine Jugend, in der mir Werke wie Gegen die neue Härte fehlten – Bücher, die nicht nur die gesellschaftlichen Spaltungen analysieren, sondern auch die tieferen Ursachen und Folgen dieser Ausgrenzung beleuchten. Judith Kohlenbergers Buch hat die Kraft, genau dies zu tun, und widmet sich einer der zentralen Fragen unserer Zeit: Leben wir tatsächlich in einer zutiefst gespaltenen Gesellschaft?
Für mich persönlich sind die beschriebenen Mechanismen von Abschottung, Ablehnung und dem Streben nach Sicherheit keine abstrakten Theorien, sondern gelebte Realität. Gleichzeitig bietet das Buch jedoch Raum für Hoffnung. Es fordert uns auf, die Härte zu hinterfragen und Wege zu finden, wie Offenheit und Solidarität in einer Welt voller Unsicherheiten bewahrt werden können. Die Migrationsforscherin zeigt eindringlich, wie Nationalismus, Hetze und Populismus die gesellschaftlichen Gräben weiter vertiefen, indem sie das Fremde zum Feindbild machen. Doch sie verdeutlicht auch, dass diese Härte nicht nur auf politischer Ebene wirkt, sondern zunehmend den Alltag der Menschen durchdringt und die Bereitschaft zu Mitgefühl und Solidarität erodiert.
Besonders berührend ist ihre Analyse der Tragödie zweier Schiffsunglücke im Juni 2023, die auf erschütternde Weise die soziale Kälte und Ungleichheit in der Wahrnehmung menschlichen Leids offenbart. Während vor der griechischen Küste ein Flüchtlingsboot mit 600 Menschen kenterte, richtete sich die mediale Aufmerksamkeit fast ausschließlich auf die zeitgleich implodierte Tauchkapsel Titan, die fünf Superreiche an Bord hatte.
Diese Beispiele verdeutlichen, wie tief verankert die Mechanismen von Ausgrenzung und Entmenschlichung sind. Judith Kohlenberger zeigt uns aber auch, dass es möglich ist, diesen Mechanismen entgegenzuwirken – indem wir die Härte in unserer Gesellschaft erkennen, hinterfragen und uns für eine Zukunft einsetzen, die von Offenheit und Solidarität geprägt ist.
Judith Kohlenberger zählt zu den renommiertesten Migrationsforscher:innen Österreichs. Mit ihrer fachlichen Expertise und ihrer überzeugenden Stimme prägt sie den öffentlichen Diskurs über Migration, Integration und soziale Gerechtigkeit maßgeblich.
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