#4 Junge Forschung mit#teilen: Marcel Amoser

Wer an Studierendendemonstrationen denkt, denkt an Berlin, an Löwen oder Berkeley, an randalierende Haufen, Polizeiknüppel, an aufgeschreckte Bürger. Der Student als Bürgerschreck, dieses Gespenst geistert durch die Universitätsstädte des Westens. Als nun auch in Innsbruck in den letzten Oktobertagen eine Studentendemonstration angekündigt wurde, da schüttelte sich so manch ergrautes Haupt – das hätte gerade noch gefehlt – und das Gehaben der Studenten wurde mit großem Misstrauen beobachtet. Hatte die Revolution ihre Kinder nun auch bei uns gefunden?
Leo Haffner, Marschieren für Österreich – einmal anders, in: Tiroler Magazin, Nr. 4, Jg. 2, Dezember 1967, S. 6–7, S. 6. Bibliothek der Tiroler Landesmuseen.

Diese Frage stellte sich im Herbst 1967 der Journalist Leo Haffner in der Zeitschrift Tiroler Magazin und bezog sich auf die internationale Studierendenrevolte, die als 68er-Bewegung in die Geschichte einging. Diese Frage war nicht unbegründet – Innsbruck war nicht gerade eine Hochburg der Proteste. Wie das Buch Innsbruck im Aufbruch. Studentische Proteste und soziale Bewegungen in den verlängerten 1960er-Jahren herausarbeitet, war in der Tiroler Landeshauptstadt aber trotzdem einiges los – in unterschiedlichen Phasen weit über 1968 hinaus.

An der Universität wurden Autoritäten infrage gestellt und weitreichende Mitbestimmungsmöglichkeiten eingefordert. Viele der Aktionen waren symbolisch aufgeladen und teils ironisch im Stil: Eine Promotionsfeier wurde „gesprengt“, indem Labormäuse auf die Gäste losgelassen wurden, akademische Traditionen sollten mit „Oben-ohne Talaren“ modernisiert werden und einmal wurde sogar die Amtskette des Rektors gestohlen. Die Tiroler Tageszeitung, die hinter vielen Aktionen das Wirken „ausländischer Rädelsführer“ vermutete, geriet ebenfalls ins Visier der Protestierenden: In einem augenzwinkernden Flugblatt wurde etwa zu Protesten vor dem Bürogebäude der TT aufgerufen. Sie sollten der Redaktion und der Welt zeigen, was „ein wackerer Tiroler“ alles kann. Dabei wurden Analogien zur Schlacht am Bergisel hergestellt, die auch in der hiesigen Mobilisierungsarbeit gegen den Krieg in Vietnam eine Rolle spielten. Doch nicht nur die Presse stand im Fokus der Protestierenden. Im konservativ-katholischen Tirol war es kaum verwunderlich, dass auch die Kirche als Reibungsfläche diente. Ob es sich nun um Konflikte rund um die Räumlichkeiten der Katholischen Hochschulgemeinde oder um die Jugendzentren MK und Z6 handelte – immer wieder kollidierten die Protestbewegungen mit der Amtskirche. Besonders zugespitzt war eine Auseinandersetzung um Bischof Paulus Rusch, der in Protestkreisen gar als „Porno Paul“ verspottet wurde.

Die konservativ-katholischen Mehrheitsverhältnisse Tirols prägten Themen und Verlaufsformen der Proteste. Sie waren aber stets in einem internationalen Bezugssystem eingebettet. Wie das Buch verdeutlicht, spielte auch Migration eine wichtige Rolle. Der Transfer von Ideen, Informationen, Themen und Problemdiagnosen wurde beispielsweise über westdeutsche, iranische oder auch griechische Studierende angeregt. Gemeinsam mit österreichischen Studierenden protestierten sie gegen den iranischen Schah, die Militärjunta in Griechenland oder den Krieg in Vietnam. Der Blick richtete sich in den 1970ern zunehmend auch auf die Situation in Österreich und damit die Lage von Arbeits- und Bildungsmigrant:innen. In den Protesten gegen den Österreichischen Auslandsstudentendienst oder auch gegen die Entlassungen von ausländischen Arbeitskräften bei der Firma Swarovski in Folge der „Ölkrise“ 1973 zeigten sich frühe Formen des antirassistischen Widerstands in Innsbruck.

Wer mehr über die vielfältige Geschichte der „Studierendenrevolte im Heiligen Land Tirol“ erfahren möchte, kann Innsbruck im Aufbruch beispielsweise hier erwerben.

Im Rahmen der „Tage des Protests“ wird das Buch am 3. Juni 2025 19:00 Uhr in der p.m.k. (Viaduktbogen 19–20) präsentiert. Nähere Informationen

Zum Autor: Marcel Amoser studierte Geschichte, Soziologie sowie Gender, Kultur und sozialer Wandel an der Universität Innsbruck. Er forscht zu Protest und Migration im regionalen Kontext und engagiert sich derzeit auch im subARCHIV INNSBRUCK. 2024 erhielt er für seine Dissertation Innsbruck im Aufbruch. Studentische Proteste und soziale Bewegungen in den verlängerten 1960er-Jahren den Marianne-Barcal-Preis der Stadt Innsbruck.

Buchcover © StudienVerlag
Bildunterschrift: Fotograf:in unbekannt. Aktivist:innen des KB am Podium im Rahmen einer Veranstaltung zum Ersten Mai in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre in Innsbruck. Sammlung Elisabeth Senn.

 

 

 

Buchcover © StudienVerlag Bildunterschrift: Fotograf:in unbekannt. Aktivist:innen des KB am Podium im Rahmen einer Veranstaltung zum Ersten Mai in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre in Innsbruck. Sammlung Elisabeth Senn.

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